Plizlein, Pilzlein an der Wand
Jasmin Jouhar für die FAZ im Gespräch mit Diana Drewes
26. Februar 2023
Lampen, Kissen, Baustoffe – aus dem ökologischen Wundermaterial Myzel lässt sich alles mögliche machen. Designer und Architekten arbeiten daran, uns den Schwamm endlich ins Haus zu bringen.
Von Jasmin Jouhar
Sie sind weder Tier noch Pflanze, sondern eine eigene Gattung Lebewesen und eigentlich überall: auf dem Camembert im Kühlschrank genauso wie im Waldboden unter unseren Füßen. Aber erst in den vergangenen Jahren haben die Pilze so richtig Karriere gemacht in der öffentlichen Aufmerksamkeit.
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Denn Maronen, Champions und Seitlinge sind ja bloß die sichtbaren Fruchtkörper eines ansonsten unsichtbaren, weitverzweigten Netzes von Zellen, dem Myzel. Und das Myzel vollbringt von Natur aus wahre Wunder: Auf organischem, zellulosehaltigem Material wie Holzresten als Basis bildet es ein leichtes, aber stabiles und haltbares Geflecht, und braucht dafür noch nicht einmal Licht oder Dünger.
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Doch so schnell Myzelium auch wächst, die Zucht ist nicht ohne, wie Diana Drewes weiß. Die Materialentwicklerin von der Berliner Agentur Haute Innovation sieht in den selbstgezüchteten Pilzobjekten vor allem Zufallsprodukte, die nicht einfach so wiederholbar sind. „Je nach Pilzart müssen bestimmte Umgebungsfaktoren geschaffen werden“, sagt Drewes, die an der Biofabrikation mit Pilzen und Bakterien forscht und Baumaterialien aus Reststoffen entwickelt.
„Temperatur, Lieblingssubstrat und Feuchtigkeit können variieren. Das wichtigste ist jedoch eine sterile Umgebung.“ Um Myzelium in größeren Mengen und gleichbleibender Qualität zu züchten, braucht es fast schon laborähnliche Anlagen und damit vor allem Geld. Und so gibt es zwar eine Reihe von Start-ups, die nach eigener Auskunft an Myzel-Produkten arbeiten, aber außer Prototypen, Ankündigungen und Wartelisten noch nicht viel vorzuzeigen haben.
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In der Innenarchitektur hat sich Mogu einen Namen gemacht. Das Unternehmen kommt aus der innovationsfreudigen norditalienischen Provinz Lombardei. Mogu hat Bodenbeläge und akustisch wirksame Wandpaneele aus Myzel entwickelt. Es gibt sie in verschiedenen Formen und nicht nur im typischen hellen Beige, sondern in einer ganzen Palette von Farben. Mogu verspricht, dass die Produkte plastikfrei sind und die Farben der Wandpaneele biologisch abbaubar.
Die Bodenbeläge allerdings sind beschichtet, eine unversiegelte Oberfläche wäre auf Dauer nicht belastbar genug. Auch die in der Modebranche eingesetzten veganen Leder aus gepresstem Myzel sind ohne zusätzliche Beschichtung nicht zu haben. Nur so lassen sich Oberflächentexturen und Farben erzeugen. Das schränkt unter Umständen die Kreislauffähigkeit ein.
„Bei vielen myzelbasierten Produkten, die in einer farbenfrohen Farbpalette angeboten werden, lässt sich schon erahnen, dass diese nicht zu hundert Prozent kompostierbar sind“, sagt Biodesignerin Diana Drewes von Haute Innovation. Es sind nicht zuletzt die Eigenschaften der Pilze selbst, die bei der Gestaltung der Produkte Probleme machen. „Tatsächlich ist die Oberfläche beziehungsweise das Erscheinungsbild von myzelgebundenen Materialien eine Herausforderung“, nennt Drewes eine Eigenheit.
Pilze seien schließlich die großen Zersetzer in der Natur – sie verdauen alles, was ihnen in der Weg kommt. „Im Klartext heißt das: Natürliche Pigmente eignen sich nicht für eine homogene Durchfärbung von myzelbasierten Produkten. Während des Wachstumsprozesses werden die Pigmente aufgespalten und absorbiert.“
Großes Potential für Myzel sieht Diana Drewes in der Architektur. Auch die als träge geltende Baubranche arbeite „fieberhaft an neuen Pilzmaterialien, die sich für die Gebäude der Zukunft eignen“. Myzeliumbasierte Baustoffe sind ihren Angaben nach vor allem für den Innenraum und nicht tragende Elemente interessant. Diese machen in Neubauten mehr als 30 Prozent aus.
Verschiedene Initiativen aus der Architekturszene haben in den vergangenen Jahren bereits auf dem Gebiet experimentiert. Aber alle Projekte stehen vor demselben Problem: Die Hürden für Zulassung von neuartigen Verfahren und Materialien sind hoch im Bausektor. Zahllose Normen, sinnvolle und weniger sinnvolle, behindern nachhaltige Innovationen. „Als Materialentwicklerin von zement- und sandfreien Baustoffen bin ich jedoch zuversichtlich, dass sich Pilze auch in der Baubranche einen festen Platz sichern werden“, sagt Drewes.
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Der gesamte Artikel ist in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erschienen am 26. Februar 2023.
Bild: Pilzwachstum für die Herstellung von Materialien (Foto: Diana Drewes)
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