
HygroShape
Selbstformendes Holzmöbel durch hygroskopische Schwindkräfte
25. April 2022
Jeder, der mit Holz arbeitet, kennt die Verzugseigenschaften des Materials nach Feuchteeinfluss und die teils starken Schwindkräfte, die mit der Feuchteauf- und -wiederabgabe einher gehen. Wissenschaftler am ICD der Universität Stuttgart versuchen bereits seit Jahren, die negativen Eigenschaften, die vor allem bei Nadelhölzern auftreten, in Form von Selbstformungsprozessen in Architektur und Design zu nutzen. Jetzt meldet ein Forscherteam die erfolgreiche Entwicklung eines sich selbstformenden Möbels.
Selbstformende Materialien für Architektur und Design
In dem Forschungsprojekt „HygroShape“ machen sich Dr. Dylan Wood und Laura Kiesewetter am Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart unter der Leitung von Prof. Achim Menges eine intrinsische Eigenschaft von Holz zu Nutze: Die Zellwände dehnen sich in nassem Zustand aus und ziehen sich beim Trocknen zusammen.
Findet der Trocknungsprozess des Holzes unkontrolliert statt, kommt es zu unerwünschten Verformungen, und das Material „verzieht sich“. Nutzt man jedoch die entstehenden Kräfte proaktiv, können sie für gezielte Formänderungen verwendet werden und Konstruktionen in der Architektur (wie beim Urbach Turm) oder im Möbelbau enorm vereinfachen.

Das biologische Funktionsprinzip haben sich die Wissenschaftler an Zapfen von Nadelbäumen abgeleitet. Deren Schuppen bestehen aus anisotropen Faserverbundwerkstoffen, die eine Doppelschicht bilden. Solange der Zapfen lebt, wird in dieser Doppelschicht ein hoher Wassergehalt beibehalten. Fällt der Zapfen vom Baum, trocknen die Schuppen, biegen sich langsam auf und geben die Samen frei.
Die physikalisch-mechanischen Eigenschaften solcher Verbundmaterialien digitalisieren die Forschenden im HygroShape-Konzept mithilfe fein abgestimmter rechnergestützter Designmethoden und berechnen eine spezifische Materialsyntax, um das Material auf die geplante Verformungssequenz einzustellen. Auf der Basis dieser spezifischen Syntax werden flache, mehrschichtige Holzbauteile hergestellt, die eine ausgefeilte innere Zusammensetzung sowie einen definierten Feuchtigkeitsgehalt aufweisen.
Mithilfe eines computergestützten Designtools werden die Bretter dann in maßgeschneiderten Anordnungen arrangiert, die die anschließende Formung steuern und koordinieren. Durch die physische Kodierung wird jedes Stück in flachem Zustand so programmiert, dass eine definierte gekrümmte Geometrie entsteht, wenn die Feuchtigkeit reduziert wird.
Schließlich werden die Teile versiegelt zum Nutzer transportiert und dort in Räumen verwendet, die deutlich trockener sind als die Produktionsumgebung, was die Formungssequenz aktiviert. Das digitale Design erlaubt es, natürliche Materialien mit höherer Variabilität zu nutzen und eröffnet zudem die Erweiterung der Formensprache.
Denn seit einigen Jahren werden Möbel aus Kostengründen häufig in kompakten, flachen Paketen transportiert und erst vor Ort montiert. Das Möbeldesign hat sich überwiegend auf gerade und eckige Formen reduziert. Das Materialverhalten eines HygroShape-Bauteils dagegen bringt elegante Kurven und schlanke Flächen hervor, standardmäßige Winkelverbindungen oder mechanische Beschläge entfallen.
Zur Weiterentwicklung der Technologie bishin zur Marktreife haben Laura Kiesewetter und Dr. Dylan Wood das Start-Up „HyloTech“ gegründet. Sämtliche Produkte des Spin-off der Hochschule sollen zur Steigerung der Ressourcen- und Fertigungseffizienz in der Möbelindustrie beitragen und sowohl biobasiert als auch biologisch geformt sein.
Ein Video zur Technologie ist erschienen unter: www.vimeo.com/654875637
Bild (oben): Prototyp einer selbstgeformten Chaiselongue (Foto: Robert Faulkner; Universität Stuttgart/ICD)
Bild (unten): Etappen des Selbstformungsprozesses – Durch Lufttrocknen formt sich die flache, kompakte Konfiguration in die stabile, gekrümmte Geometrie eines Stuhls (Foto: Robert Faulkner; Universität Stuttgart/ICD)
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