Nachhaltige Materialien und Multifunktionswerkstoffe für Designer
Folkwang Universität der Künste in Essen
27. Oktober 2010
Luftreinigende Moose, Schaumstoffe aus Pilzen, Leuchten aus Algenfasern oder eine wasserbeständige Mosaik-Vertäfelung aus Kokosnussschalen: Unsere Produkt- und Werkstoffkultur steht kurz vor einem einschneidenden Wandel. Denn das petrochemische Zeitalter neigt sich mit den knapper werdenden Erdölressourcen und dem größer werdenden Bedarf aus Schwellenländern wie Indien und China dem Ende entgegen. Jüngst konnten wir zudem den Beginn eines Wirtschaftskampfes um Metalle der seltenen Erden beobachten, die für die Entwicklung vielfältiger Produkte aus HighTech-Bereichen wie Windkraft, Hybrid-Motoren und der Solartechnologie von großer Bedeutung sind. Dieser ließ seit Sommer 2010 die Kosten für Dysprosium, Ytterbium, Neodym und Co. in bislang ungeahnte Höhen schnellen.
Als Folge des sich abzeichnenden Ressourcenengpasses wird an Alternativen gearbeitet, die nach biotechnologischen Prinzipien hergestellt werden können und eine Verwendung in Materialkreisläufen möglich macht. Einen Rohstoff nach Beendigung eines Produktzyklusses rückzugewinnen und ohne Qualitätseinbußen wieder einzusetzen, ist eine Vision vieler Hersteller und Anwender, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Wir befinden uns derzeit in einer Übergangsphase zweier Materialkulturen, dessen Wandel uns vor große Heraufforderungen stellen wird. Denn unsere Strukturen sind vornehmlich auf den Verbrauch von Ressourcen ausgerichtet und weniger auf ihren Gebrauch. Trotz der Ähnlichkeit der Begriffe, wird dies die Anforderungen an Produkte, ihre Verwendung und Entsorgung vollkommen verändern. Strukturen müssen weichen oder modifiziert werden, die in Jahrzehnten gewachsen sind.
Beim Übergang der Kulturen werden wir es daher neben herausragenden werkstofftechnischen Neuerungen im Sinne des Ressourcenerhalts vor allem mit Mischformen zu tun haben. Verbindungen aus belastbaren Errungenschaften und visionären Innovationen. Eines der Hassthemen der Umweltdiskussion, der Verbundwerkstoff, erhält in diesem Zusammenhang eine fast existenzielle Notwendigkeit. Denn in Kompositen werden Materialqualitäten miteinander kombiniert. Das Neue erhält in Verbindung mit dem Altbewährten die Möglichkeit, sich in einem Produkt wirtschaftlich am Markt zu behaupten. Dass sich Verbundmaterialien schlecht oder gar nicht recyceln lassen, widerspricht dann dem eigentlichen Ansatz des materiellen Ressourcenerhalts, ist aber eine Notwendigkeit für den strukturellen Wandel im System einer revolutionären Materialkultur.
Darüber hinaus haben wir es neuerdings mit Materialien zu tun, die neben ihrer mechanischen Qualität zusätzliche Funktionen übernehmen können und auf die Umgebung reagieren. Multifunktionale Werkstoffe ändern ihre Farbe unter Wärme- oder Lichteinfluss, werden leitfähig für elektrischen Strom oder Wärme und sind in der Lage, die Luft mit einer Nanotitandioxidoberfläche von Gerüchen und Schadstoffen zu befreien. Zahlreiche Materialien sind entstanden, die vor allem auch unsere Badkultur auf den Kopf stellen werden. Wie dieser Lebensbereich in Zukunft aussehen wird, ist ebenso offen wie die dafür zur Anwendung kommenden Werkstoffe. Klar sollte jedoch sein, dass bei der Entwicklung einer nachhaltigen Produktkultur unter Einsatz innovativer und multifunktionaler Materialien Designer und Architekten eine gewichtige Funktion übernehmen. Denn sie sind es, die in Produktentwicklungen und bei der Umsetzung von Interieurentwürfen mittlerweile die Auswahl der zum Einsatz kommenden Werkstoffe bestimmen und somit eine technologische Option in eine zielgruppenspezifische Anwendungsqualität überführen.
Dem Trend aus anderen Lebens- und Produktbereichen folgend, wo professionelle Kreative selbst die Entwicklung und Durchsetzung neuer Werkstoffkonzepte und Fertigungsmethoden forciert haben, ist auch für den Badbereich mit neuen Materialien zu rechnen, die auf Designer oder Architekten zurückgehen. Die Anwendbarkeit lichtdurchlässigen Gesteins für Waschbecken oder Duschkabinen, der auf Arbeiten des Architekten Áron Losonczi zurückgeht, haben die Hersteller ebenso nachgewiesen, wie den Nutzwert des wassersensitiven Gesteins „Solid Poetry“ oder des retroreflektierenden Betons „BlingCrete“ für das temporäre Anzeigen von Informationen und Dekorelementen. Die wasserabweisende und kratzfeste Keramiktapete „ccflex“ hätte sogar das Potenzial dazu, auf lange Frist die Verwendung keramischer Fliesen im Badbereich vollständig zu ersetzen.
Die Anwendungspotenziale von Kunststoffen aus biologischen Rohstoffen (z.B. Zellulosekunststoffe) oder Materialien nach organischem Herstellungsprozess (z.B. Pilzhartschaum) für den Badbereich sind allerdings noch offen. Die Möglichkeit zum Austausch petrochemisch erzeugter Kunststoffe für Folien, Tuben oder kleine Behältnisse durch Biopolymere ist offensichtlich. Jedoch bieten innovative Materialkonzepte wie das der laugen- und wasserlöslichen Polymere die Option, Produktwelten vollkommen neu zu denken. Die Umgebungseigenschaften des Lebensbereichs Bad ließen sich auf positive Weise für eine neue Produktkultur erschließen. Was sich vor allem in den letzt genannten Bereichen in den nächsten Jahren entwickeln wird, ist unklar und bedarf einer genaueren Betrachtung durch professionelle Kreativer. Designer und Gestalter aller Fachrichtungen sind also aufgerufen, die Zukunft neu zu denken. Sie hat begonnen… die Revolution der Materialien!
Am 27. Oktober 2010 war Dr. Sascha Peters nach Essen eingeladen, um an der Folkwang Universität der Künste die Inhalte seines neues Buchs „Materialrevolution – Nachhaltige und multifunktionale Werkstoffe für Design und Architektur“ vorzustellen.
Bildquelle: Decor Pietra
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