Vom Material zum Produkt

Die Welt Redaktion im Interview mit Dr. Sascha Peters

Die Welt vom 29. März 2011

Axel Springer SE

Brillengläser, die nie beschlagen, Hausfassaden, die Strom erzeugen oder Bürgersteige, die die Umgebungsluft von schädlichen Partikeln und Abgasen befreien: Etwa 70 Prozent aller neuen Produkte basieren auf Innovationen im Materialbereich. Im Interview erläutert Dr. Sascha Peters die Bedeutung neuer Materialien für industrielle Innovationsprozesse und hebt besonders die Nanotechnologie hervor.

Die Welt: Welche Vorteile bieten innovative Werkstoffe für neue Produkte?

Dr. Sascha Peters: Werkstoffentwicklungen nehmen eine Schlüsselfunktion für die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft und der nationalen Wirtschaft ein. Der Invest in Materialentwicklungen ist notwendig und wird sich auf lange Frist auszahlen. Dies gilt insbesondere für Entwicklungen auf dem Gebiet der Nanotechnologie, die in den letzten Jahren angestoßen wurden und enorme Potenziale und Hebelwirkungen für eine Vielzahl der Industrien aufweisen.

Die Welt: Gibt es auch Nachteile? Welche Kosten verursachen solche Entwicklungen?

Dr. Sascha Peters: Durch die Verwendung neuer Materialien ist meist auch ein Invest in neue Produktionsverfahren und Prozesse zur Rohstoffbeschaffung notwendig. Dies kann zunächst nur über einen hohen Materialpreis abgefangen werden, der einer breiten Einführung einer Entwicklung am Markt entgegensteht. Vor allem kleine Unternehmen brauchen einen langen Atem, da sich der Erfolg neuer Technologien beim Kunden selten voraussagen lässt und sich erst nach Jahren abzeichnet. Daher konzentrieren sich die Hersteller zunächst auf Nischenprodukte, in denen die Materialinnovation einen erheblichen funktionalen Mehrwert bietet. Aus diesem Nischendasein herauszutreten ist die zentrale Herausforderung für jedes Unternehmen, das in Werkstoffentwicklungen investiert. Der Transfer eines Entwicklungserfolges in ein marktfähiges Produkt, das in Masse produziert werden kann, dauert insbesondere in Deutschland immer noch viel zu lange.

Die Welt: Wie läuft die Entwicklung eines neuen Werkstoffs ab?

Dr. Sascha Peters: Richtet man den Blick auf den Prozess, mit dem hierzulande die Identifikation von marktfähigen Lösungen für das Qualitätsprofil eines bestimmten Werkstoffs vorangetrieben wird, werden einige Mängel deutlich, die den Markterfolg behindern. Eines der Hauptprobleme ist, dass Material- und Anwendungsentwicklungen meist getrennt voneinander in sequentiell aufeinander folgenden Prozessen stattfinden. Hinweise aus zukünftigen Anwendungskontexten, die wichtig wären für die Materialentwicklung, werden meist zu spät oder gar nicht im Innovationsprozess bedacht.

Durch frühzeitige Integration von Vertretern der “creative industries”, also von Designern und Architekten, in den Entwicklungsprozess, könnte diesem Problem entgegengetreten werden. Sie sind mit ihrer besonderen Sichtweise aus den Märkten heraus in der Lage, wichtige Hinweise für spätere Anwendungskontexte von Materialinnovationen zu geben. Damit sorgen sie für die Überführung eines funktionalen Mehrwertes in eine emotionale Produktqualität, die den Kunden erreicht. Technologie gelangt zum Menschen und sorgt ganz nebenbei für die Lösung einiger zentraler Fragen unserer aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung.

Die Welt: Welcher Nutzen ergibt sich für den Verbraucher?

Dr. Sascha Peters: Spätestens seitdem klar ist, dass wir uns auf knapper werdende Rohstoff- und Energieressourcen einstellen müssen, scheint das Bewusstsein für den umweltverträglichen Umgang mit Materialien beim Konsumenten angekommen zu sein. Unsere Produkt- und Werkstoffkultur steht kurz vor einem einschneidenden Wandel. Die Hersteller reagieren auf die Situation in zwei unterschiedliche Richtungen. Während die einen mit Neuentwicklungen biobasierter Materialien, den Anteil natürlicher Werkstoffe in Produkten zu erhöhen versuchen, setzen andere wiederum auf eine Steigerung der Werkstoffeffizienz. Materialien sind gefragt mit multifunktionalen Qualitäten; Werkstoffe also, die gleich mehrere Funktionen im Produkt übernehmen können. Multifunktionsmaterialien ersetzen altbewährte Lösungen, die nur mit hohem konstruktivem Aufwand oder großem Energieeinsatz möglich waren. Beispiele sind Bakterien abtötende Oberflächen für medizinische Anwendungen, das Klima beeinflussende Phasenwechselmaterialien oder Transparenz verändernde Glasscheiben.

Die Welt: Welche speziellen Zukunftsvisionen rücken mit der Verwendung von Nanotechnologien in greifbare Nähe?

Dr. Sascha Peters: Vorangetrieben durch die Nanotechnologie werden Werkstoffe mit einer ganzen Reihe funktionaler Mehrwerte möglich, die das bisherige Verständnis von Materialität nachhaltig verändern. So sind in Oberflächen applizierte Nanotitandioxide bei der Luftreinigung behilflich. Durch Siliziumdioxid in Nanodimension werden Materialien kratzfest und CNT-Nanodrähte können gar aus einer Tapete eine beheizbare Fläche machen. Durch Einsatz der Nanotechnologie sind zudem Leichtbaustrukturen im Baugewerbe und Fahrzeugbau mit einem deutlich reduzierten Materialaufwand möglich. Unternehmen aus Hessen haben sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht im Bereich der Nanotechnologie. Selbstreinigende Dachziegel, brandgeschützte Dämmwolle, schmutzabweisende Tapeten oder Antifingerprintbeschichtungen für Armaturen- und Möbeloberflächen: Insbesondere für Architekten und Designer befinden sich derzeit Anwendungen in der Markteinführung, die auf die rund 150 in Hessen ansässigen Nanotech-Unternehmen (Deutschlands stärkste Region für den wirtschaftlichen Transfer nanotechnologischer Entwicklungen in den Markt) zurückzuführen sind.

Bild: Wasserabweisende Oberfläche