Materialinnovationen für Landschaftsarchitekten: Möglich ist fast alles ...
Thomas Armonat im Interview mit Dr. Sascha Peters
Magazin „Garten + Landschaft“, Juli 2015
Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur
Innovationsberater, Materialexperte und Ingenieur: Sascha Peters hat vor sechs Jahren in Berlin das Unternehmen Haute Innovation gegründet. Sein Ziel ist es, Innovationsprozesse zu verkürzen und Materialentwicklungen in marktfähige Produkte zu münzen. Thomas Armonat sprach mit ihm über die Innovationskraft der Bauindustrie und erfuhr, dass Schlaglöcher bald der Vergangenheit angehören könnten.
Armonat: Herr Peters, was macht Ihr Unternehmen Haute Innovation?
Um aus der Vielzahl der Neuerungen auszuwählen, was für unsere Kunden interessant ist, scannen wir den Markt nach innovativen Materialien und Technologien für Designer und Architekten. Aus den Ergebnissen machen wir Trendanalysen. Wir selbst entwickeln keine Materialien oder Produkte, sondern vermitteln zwischen Entwicklern, Produzenten und Anwendern.
Armonat: Wer sind Ihre Kunden?
Zu Beginn meiner Tätigkeit dachte ich, dass Architekten und Designer zu meinen Kunden zählen werden. Allerdings habe ich gelernt, dass die in der Regel kein Budget haben, sich zur Entwicklung neuer Materialien oder Materialanwendungen beraten zu lassen. Unsere Kunden sind vorrangig Unternehmen mit Design- und Entwicklungsabteilungen, etwa Automobilhersteller, Möbelfertiger oder aus der Bauindustrie. Diese Firmen verarbeiten Halbzeuge und bieten die daraus produzierten Systeme für Anwendungen in der Innenarchitektur oder Architektur an.
Armonat: Ende April hat Sie der Baustoffhersteller Kann nach Köln eingeladen, um bei einer Tagung zum öffentlichen Raum über nachhaltige und smarte Materialien im Kontext urbaner Landschaftsarchitektur zu sprechen.
Als industrielle Gesellschaft verbrauchen wir zu viele Ressourcen. Für die Baustoffindustrie sind daher Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sehr wichtige Themen. Neben dem sparsamen Umgang mit bewährten Materialien geht es für Baustoffhersteller darum, bessere zu entwickeln. Die werden künftig auch immer mehr im öffentlichen Raum eine Rolle spielen.
Armonat: Welche Beispiele gibt es da?
Das sind drei Hauptgruppen: Eine Gruppe sind biologisch abbaubare Materialien auf Basis von landwirtschaftlichen Reststoffen und nachwachsende Rohstoffe: Weizenstroh, das in Plattenform im Trockenbau einsetzbar ist, ebenso wie Maisspindeln. Bambus wird als Baustoff auch in Europa immer populärer, geforscht wird an Bambusfaser-Verbundwerkstoffen, die ähnliche Eigenschaften wie Stahl bieten. Algen können Kunststoffe ersetzen und lassen sich zu Textilien verarbeiten. Ihr großer Vorteil: Der Anbau verbraucht keine Landfläche, die für Lebensmittel gebraucht wird. Außerdem wachsen sie nicht nur in der Fläche, sondern auch in unterschiedlichen Wassertiefen. Pilze werden heute dazu gebracht, mit Hilfe ihres Myzels Schaumstoff-Strukturen zu bilden.
Armonat: Und bezogen auf Baustoffe für den Außenraum?
Vergangenes Jahr hat das Unternehmen Solar Road im niederländischen Krommenie einen 70 Meter langen Testabschnitt eines Fahrradwegs mit integrierten Solarpanelen gebaut. Ähnliche Entwicklungen gibt es für Betonoberflächen an Hausfassaden, die Sonneneinstrahlung in Energie umwandeln. Das Londoner Unternehmen Pavegen Systems hat Bodenelemente entwickelt, die elektrische Energie erzeugen, wenn Fußgänger darüber gehen. So können beispielsweise Straßenlaternen, Wegweiser, Bushaltestellen gezielt und energieneutral betrieben werden. Aber die Elemente eignen sich auch, um Fußgängerströme in Echtzeit zu messen. Solche „smarten“ Oberflächen werden künftig mehrfachen Nutzen bringen.
Armonat: Welche Aussichten gibt es für die Konstruktion räumlicher Strukturen?
Der dritte Schwerpunkt ist der 3D-Druck. Das ist momentan sehr im Kommen, da die Anlagen aktuell sehr viel größer werden. Es kommen inzwischen große Roboter zum Einsatz, daher eignet sich dieses Verfahren, um auch in der Architektur genutzt zu werden. Kürzlich wurde bekannt, dass die in Shanghai ansässige Firma WinSun auf Basis US-amerikanischer Forschung und Experimente bis zu sechsstöckige Apartmentgebäude mit Hilfe von Robotern „gedruckt“ hat. Das hat die ganze Szene aufgeschreckt und wirft die Frage auf, ob solche Technologien nun tatsächlich rasant den Baumarkt erobern werden.
Armonat: Wie kann man sich das vorstellen, wenn ein komplettes Gebäude aus dem Drucker kommt?
Die komplette äußere Gebäudestruktur wird Schicht für Schicht CAD-gesteuert aus einer Düse mit Betonmasse produziert, ähnlich wie man das beim Backen mit einem Spritzbeutel macht. Für Armierung und Dämmung bleiben dabei Hohlräume. Dort werden dann die Armierungseisen eingesetzt und eingegossen beziehungsweise die Dämmmaterialien eingebracht. Bilder und Videos des Entstehungsprozesses sind auf der Webseite von WinSun zu sehen (www.yhbm.com). Eine andere Methode ist, einzelne Partikel zu verdrucken und dazwischen den Zement als Bindemittel einzubringen. Dieses Verfahren ist wesentlich feiner und führt zu viel exakteren Ergebnissen, gerade bei Oberflächen.
Armonat: Haben neue Materialien in der Stadt das Potenzial, die Gestaltung zu beeinflussen oder sogar zu verändern?
Neue Möglichkeiten bei der Umsetzung fordern immer auch von den Planern andere Konzepte und ein ganz neues Denken. Auf jeden Fall werden durch die neuen Herstellungsverfahren organische Formen genauso einfach herzustellen sein wie die heute meist durch Baustoffe und Herstellung bedingt rechtwinkligen, eckigen Konstruktionen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich sehr leicht Hohlräume in Bauelemente integrieren lassen. Das ermöglicht es, Leitungen nicht möglichst gerade durch Wände und Decken ziehen zu müssen. Sie können ebenfalls organisch mit in das Raumgefüge eingearbeitet werden. In der Freiraumplanung wäre das möglicherweise auf neuartige Entwässerungslösungen anwendbar.
Armonat: Glauben Sie, dass langfristig traditionelle Materialien wie Beton, Naturstein, Holz oder Metall durch neue Materialien und Herstellungsverfahren ersetzt werden?
Ich denke, dass es eher darauf hinausläuft, dass man damit flexibler wird und Alternativen hat, um die klassischen Bauweisen zu ergänzen.
Armonat: Welche Eigenschaften dürfen neue Materialien nicht haben, um von den Menschen akzeptiert zu werden?
Die vorhin erwähnten Schaumstoffe, die aus Pilzmyzel entstehen sind ein Beispiel dafür, dass ein Material noch nicht in seiner neuen Eigenschaft als Dämmstoff im Gebäude geläufig ist. Da merke ich, dass viele erst einmal schaudern bei dem Gedanken, sich „Pilze“ ins Haus zu holen. Entwickelt hat das ein junges Unternehmen aus den USA. Der Schaumstoff entsteht, indem Abfallprodukte wie Weizenstroh oder Nussschalen mit Pilzsporen und Nährstoff besprüht werden, damit die Myzelfäden eine bestimmte Form auszufüllen. Das Myzel wird anschließend bei 43 Grad Celsius abgetötet, die Struktur bleibt erhalten. Das Produkt ist vergleichbar mit Styropor, nur ist es zu hundert Prozent biologisch entstanden und abbaubar.
Armonat: Wie innovativ ist die Bauindustrie?
Die Baubranche ist sehr preisbewusst. Mehrkosten für Innovationen werden auf dem Markt nicht akzeptiert. Das sagen zumindest die Hersteller von Baumaterialien. Wenn die merken, es wird zu kompliziert, dann winken sie gleich ab. Industriedesigner und Ingenieure sind sicher in einer besseren Position, um Innovationen im Unternehmen anzuwenden. Die Automobilbranche ist sehr innovationsgetrieben und wendet innovative Materialien schneller an als die Bauindustrie. Natürlich ist beim Autobau auch alles eine Nummer kleiner, statt in Quadratmetern oder Hektar denken die eher in Mikrometern oder Millimetern. Das ist sicher ein Grund, warum sich Automobilhersteller leichter tun.
Armonat: Welche zukunftsträchtigen Neuheiten gibt es in der Baubranche?
Seit dem Jahr 2010 wird ein selbstheilender Asphalt auf einer 400 Meter langen Teststrecke der A58 nahe Vlissingen in den Niederlanden getestet. Entwickelt wurde er an der TU Delft am Lehrstuhl für Materialforschung der Fakultät Bauingenieurwesen. Das Prinzip ist relativ einfach: Stahlwolle-Fasern werden offenporigem Asphalt beigemischt. Wenn altersbedingt Mikro-Risse im Asphalt entstehen, führt man Induktionsschleifen über die Oberfläche, so dass sich das Material verflüssigt und die Risse schließt. So ließen sich im Vorfeld aufwendige Sanierungen vermeiden, für die den Gemeinden oft das Geld fehlt. In Deutschland müssen Städte und Gemeinden jedes Jahr etwa 3,5 Milliarden Euro aufwenden, um Schlaglöcher zu beseitigen. Da ist also sehr viel Einsparpotenzial vorhanden. Nun geht es darum, herauszufinden wie viel länger so ein Asphalt in Vergleich zu konventionellem hält. Wenn eine Autobahn erst nach 30 bis 40 Jahren statt nach 15 bis 20 Jahren saniert werden muss, dann ist das ja schon mal was.
Armonat: Ließe sich diese Methode auch auf Beton anwenden?
Auch daran wird gearbeitet. In Zusammenarbeit mit Mikrobiologen forscht die TU Delft an einem Verfahren mit speziellen Bakterien. Diese sind in der Lage, Risse in Beton mit Calciumlaktat zu verfüllen und den Bewehrungsstahl vor Korrosion zu schützen. Das entspricht dann selbstheilendem Beton.
Bild: Selfhealing Concrete (Quelle: TU Delft)
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