Innovation of Interior 2013

Designline Office im Gespräch mit Dr. Sascha Peters

Designline Office 3/2013
Baunetz

Der studierte Maschinenbauer und Produktdesigner Sascha Peters weiß, wie sich technische Komponenten und gestalterische Aspekte bedingen. Neben traditionellen Werkstoffen wie Holz, Stein und Naturfasern kommen neuartige Materialien auf den Markt, in denen sich bereits Funktion und Design verbinden. Welche Möglichkeiten sie bieten, zeigt Sascha Peters mit seiner Sonderschau Smart Sustainable Materials im Rahmenprogramm Innovation of Interior auf der Messe interzum 2013 in Köln. Wir trafen den Materialexperten in der grandiosen Kulisse des Berliner Bode-Museums und sprachen mit ihm über erinnerungsfähige Materialien, Algen und blinkenden Beton.

Designline: Warum besteht inzwischen ein größeres Interesse an innovativen Materialien als noch vor zehn Jahren?

Dr. Sascha Peters: Die Technologien sind mittlerweile so weit entwickelt, dass Kreativen, Designern und Architekten eine Vielzahl an Materialien zur Verfügung steht. Während in den 90er Jahren Design zum entscheidenden Unterscheidungsmerkmal von Produkten wurde, ist es heute die Technologie. Material und Verarbeitung sind zu einem Gestaltungselement geworden.

Designline: Dabei scheint die Diskussion über Nachhaltigkeit auch eine Rolle zu spielen.

Das ist ein weiterer Grund. Die Kunden fragen nach ökologisch korrekten und biologisch abbaubaren Produkten. Die Kreativen integrieren diese Aspekte in ihre Gestaltung. Denkt man an regenerative Stoffe, so stößt man allerdings auf ein Problem: Sie brauchen Platz zum Wachsen und stehen so im Konflikt mit Anbauflächen für Nahrungsmittel.

Designline: Welche regenerativen Rohstoffe bieten in der Materialentwicklung gute Lösungen in diesem Konflikt?

Eine Lösung des Problems ist der Gebrauch von Pflanzen aus teiltrockenen Gebieten, wie zum Beispiel die Rizinuspflanze. Aus ihrem Öl stellen Evonic und andere Unternehmen technische Kunststoffe her. In Zukunft werden außerdem Algen eine große Rolle spielen. Und zwar aus folgendem Grund: Sie wachsen nicht in der Fläche, sondern dreidimensional im Wasser und nehmen dadurch keine Anbauflächen für Nahrungsmittel weg. Sie haben ein schnelles Wachstum und binden hohe Mengen an Kohlenstoffdioxid. Sie eignen sich zur Energiegewinnung wie auch zur Produktion von biologischen Fasermaterialien. Obwohl die Eigenschaften schon länger bekannt sind, werden Algen erst jetzt verstärkt in Prozesse eingebunden.

Designline: Intelligente Materialien zeichnen sich durch eine Zusatzfunktion, einen Mehrwert aus. Geht deswegen mit intelligenten Materialen immer ein steigender Anteil an Technologie einher?

Sie machen genau das Gegenteil. Sie ersetzen an manchen Stellen die Technik, weil Funktionen in ein Material integriert werden. Die Materialien sind in der Herstellung komplexer und sicher auch teurer. Betrachtet man die Lebensdauer des Produkts, so ist das Ziel, weniger Energie und weniger Ressourcen zu verwenden, als bei konventionellen Lösungen.

Designline: Können Sie für das Integrieren der Technik ins Material ein Beispiel nennen?

Ein aktuelles Beispiel, das sowohl zum Thema Nachhaltigkeit wie auch in die Möbelindustrie passt, sind Fasern auf der Basis von Milchproteinen. Sie sind antibakteriell und eignen sich für Bezüge von Sitzmöbeln. Ein anderes Beispiel sind Form-Gedächtnis-Materialien, die nach Überhitzung in ihre ursprüngliche Form zurückkehren und dabei einen Schalter betätigen. Es gibt unendlich viele Lösungen, die noch nicht in den Produktkonzepten angekommen sind. Die ersten Betriebe, die sich umstellen, sind die Automobilhersteller, die traditionell innovationsgetrieben sind. Die Baubranche reagiert aus finanziellen Gründen eher zurückhaltend.

Designline: Beschreiben Sie bitte das Konzept hinter Ihrer Smart Sustainable Materials-Schau.

Smart bedeutet nicht unbedingt nachhaltig. Deswegen haben wir die Schau um die Sustainable Materials erweitert. Die beiden Begriffe gehören zusammen. Das eine sind komplexe Materialien auf hohem technologischem Stand. Die anderen lassen Dinge einfacher werden, wozu biobasierte Materialien gehören. Die Ausstellungsgestaltung ist angelehnt an das IoI-Logo mit den zwei Sicheln, die einen Kreis bilden. Der eine Bereich ist flacher und mit Tischen gegliedert. Der zweite Teil ist mit Wänden gestaltet. Die Materialien werden entsprechend ihrer Eigenschaften ausgelegt oder aufgehängt. Um den Innovationsfaktor zu unterstützen, schauen wir bei der Wahl der Hersteller in die Breite und nicht auf Materialien, die ohnehin schon in der Möbelindustrie verwendet werden.

Designline: Die Idee ist es, Materialien zu zeigen, die bisher nicht in dem Kontext vorkamen.

Exakt. Da gibt es unter anderen zwei richtig gute Sachen. Aus Pilzfasern hat das New Yorker Unternehmen Ecovative LLC Schaumstoffe entwickelt. Neben Verpackungsmaterialien kann das ressourcenschonende Material auch als Polsterung in der Möbelindustrie verwendet werden. Das zweite ist eine Entwicklung aus England. Sie nennt sich Dilatante Fasern. Die Fasern bilden eine Knetmasse, die erhärtet, wenn sie auf den Boden fällt. Das Unternehmen hat daraus einen Schaumstoff für Protektoren von Skifahrern gemacht. Das könnte auch auf andere Produkte angewendet werden, wie Gehäuse von Elektronikgeräten, die beim hinunterfallen erhärten und den Kern schützen.

Designline: Was ist zuerst da? Das Material, aus dem neue Qualitäten und Potenziale geschöpft werden, oder eine Vision eines Produkts mit bestimmten Eigenschaften und Funktionen?

Sowohl als auch. In der Industrie existieren Materialien, bevor ihre Anwendung feststeht. Ein Beispiel ist Aerographit aus Hamburg. Das ist eine sehr leichte keramische Schaumstruktur. Sie absorbiert Licht, ist sehr stabil und eignet sich für den Leichtbau. Bis zur serienreifen Anwendung wird es jedoch noch zehn Jahre dauern. Wenn dagegen ein Designer ein Material entwirft, hat er eine Produktidee und sucht für die Umsetzung das geeignete Material. Deshalb spielen Materialbücher, -bibliotheken, -veröffentlichungen so eine große Rolle, weil sie die Möglichkeiten aufzeigen.

Designline: Wie verändert sich der Gestaltungsprozess für Designer und Architekten durch intelligente Materialien?

Das ist eine gute Frage. Aus meiner Sicht wird er auf jeden Fall technologischer. Aber es gibt auch Leute, die sich während des Entwurfs keine Gedanken zu den Materialien machen und erst am Ende fragen, ob es etwas Passendes gibt. Durch das Einführen technologischer Komponenten in die Studiengänge, wird die Technologie im Entwurfsprozess zukünftig sicherlich stärker berücksichtigt werden.

Designline: In der schnelllebigen, digitalen Welt ist gerade im Möbeldesign und der Inneneinrichtung ein verstärktes Bedürfnis nach vertrauten Materialien zu erkennen. Glauben Sie, dass Mehrfunktionenwerkstoffe da hinein passen?

Smart Materials funktionieren ohne einen Mehraufwand. Die Elektronik weicht dem Material. Ein schönes Beispiel zeigen Berliner Entwickler mit dem Material BlingCrete, einem Beton, in dessen Oberfläche Glaskugeln integriert sind. Sie reflektieren Licht, wenn sie angestrahlt werden. Das Prinzip kann unter anderem für Hinweisschilder im Straßenverkehr verwendet werden, die nicht elektrisch beleuchtet werden müssten. Die Frage ist nur: Wie viel Smart möchte der Nutzer in seiner Wohnung haben? – Na ich will´s eigentlich nicht. (lacht) Ich bin auch zufrieden, wenn es nicht blitzt und blinkt überall. Ich finde es aber spannend, die Materialinnovationen im Kontext zu sehen.

Designline: Was wird der zukünftige Entwicklungstrend in der Materialforschung sein?

Wenn man sagt, es gibt die zwei aktuellen Tendenzen – nachhaltig und smart –, dann wird die nächste Tendenz die Nachbildung von biologischen Prozessen sein. Sie werden zur Materialherstellung genutzt. Zum Beispiel das Aufbauen von Wurzeln, aus denen Textilien hergestellt werden können. Beim bereits existierenden BioPrinting werden im 3D-Drucker Gene zusammengesetzt, die am Ende Fleisch ergeben. Einerseits vielleicht ein Weg, um Massentierhaltung einzudämmen, andererseits auch eine unheimliche Innovation.

Designline: Unheimlich ist das Stichwort. Möchte man später in einem Raum wohnen oder arbeiten, der mit intelligenten Stoffen, Produkten ausgestattet ist?

Ich glaube, dass man es will, wenn es einem das Leben auf eine gewisse Weise vereinfacht, ohne dass die Natürlichkeit des Lebens beeinträchtigt wird, denn da wollen wir offensichtlich wieder hin.

Bild: Dehnbare Elektronik zur LED-Integration (Quelle: Stretchable Circuits, Berlin)