Die Biologisierung der Industrie
Annika Dammann im Interview mit Dr. Sascha Peters
BRAND NEW – Expodesign & Eventconcept 2014
Deutscher Fachverlag, Frankfurt
Dr. Sascha Peters ist Innovationsberater, Materialspezialist und Fachbuchautor. Mit seiner Berliner Agentur für Material und Technologie „Haute Innovation“ verfolgt er das Ziel, Innovationsprozesse zu beschleunigen und neue Werkstoffe zu marktfähigen Produkten zu machen. Design nicht als oberflächliche Gestaltung zu betrachten, sondern als Möglichkeit Entwicklungsprozesse aus einem anderen Blickwinkel zu beurteilen, ist seine Devise. So ist es auch ein weiteres Ziel der Agentur Designer und Architekten mit Informationen aus den Forschungslaboren der Institute und Unternehmen zu versorgen und damit die beiden Welten näher zusammenzuführen.
Auszug aus dem Interview
Dammann: Wie kam es zu der Geschäftsidee von Haute Innovation?
Sascha Peters: Der grundlegende Antrieb für unsere Arbeit ist die Frage: Was passiert eigentlich, wenn uns das Erdöl ausgeht – und das wird schon bald passieren. Und das ist ja keine Neuigkeit. Die ganze Welt besteht aus Materialien, die auf Basis von petrochemischen Prozessen funktionieren. Und wenn das nicht mehr geht, müssen wir uns Alternativen überlegen.
Seit zwei, drei Jahren explodiert förmlich die Zahl neuer Materialien, um petrochemische erzeugte Stoffe zu ersetzen. Biokunststoff ist da ein Schlagwort, aber auch Recyclingwerkstoffe oder Materialien auf Basis organischer Abfälle sind ein Thema. Vor allem interessieren uns Werkstoffe, die biologisch abbaubar sind – damit beschäftigen sich insbesondere die Designer. Die Biomarktwelle, die wir in den letzten 10 Jahren beobachten konnten, schwappt gerade über in die Industrie. Und das ist auch gut so.
Dammann: Von wem kommt das Interesse, dies weiter zu entwickeln? Eher von den Gestaltern als von den Unternehmen?
Na, also die Gestalter machen erst mal das, was sie für interessant empfinden und probieren sich aus – das ist meist die neue, die junge Generation. Und die Unternehmen machen das, was wirtschaftlich möglich und sinnvoll ist. Wenn man mit Neuentwicklungen kein Geld verdienen kann, werden diese nicht weiterverfolgt, das ist ja klar. So ist es mit vielen neuen Dingen: Das alte System hat den Vorteil, dass es auf Effizienz getrimmt ist. Einen Ersatz für Etabliertes zu finden, der bezahlbar ist, das ist das große Ziel. Ein Beispiel: Biokunststoffe sind drei bis zehnmal so teuer als herkömmliche Kunststoffe. Da ist man mit der Argumentation schnell am Ende. Es sei denn, es passiert so etwas wie in Fukushima, dann spielt der Preis keine Rolle mehr. Dann ist das so, als wäre man vor eine Wand gefahren, und es wird klar: Man kann so nicht weiter machen.Ähnlich ist es bei Kunststoffen: Wenn das ganze Material irgendwann im Meer schwimmt, damit in unsere Nahrungskette gelangt und uns krank macht – das will man ja nicht! Dann sagt der Konsument „Ich kauf jetzt was anderes“. Doch leider entscheidet meist dann doch der Preis – vor allem in der Baubranche.
Dammann: Wie groß ist denn das Interesse auf der Unternehmens- oder Herstellerseite in puncto Entwicklung neuer Materialien? Vor allem, wenn der bisherige Weg noch ganz gut funktioniert? Ist das eher eine Ausnahme, wenn sich jemand entscheidet, Alternativen zu testen?
Nein, das ist keine Ausnahme, das betrifft die meisten Technologieführer in Deutschland. Deutschland ist ja innovationsgetrieben, ohne Innovationen würde unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Wenn man sich zwei Jahre zurücklehnt und nichts macht, dann können Unternehmen vom Markt verschwunden sein. Das heißt, sie sind permanent auf der Suche. Und zwar quer durch die Bank: Ob das jetzt Unternehmen sind, die Materialien für den Innenausbau herstellen, Dämmstoffproduzenten oder Kunststoffverarbeiter. Was das Trendscouting angeht, ist die Automobilindustrie natürlich ganz weit vorne mit dabei. Das entspricht auch so etwa der Bandbreite an Kunden, die wir haben bei Haute Innovation haben. Audi und BMW zählen etwa zu unseren Referenzen. Wir machen dann beispielsweise Workshops oder halten einen Übersichtsvorträge über die Technologieentwicklungen einer Branche oder eine Trendanalyse. Das ist ihnen sehr viel wert, weil sie durch uns einen anderen Blick bekommen, da wir ja völlig befreit sind von irgendwelchen Produktzwängen und einfach neue Materialien und Tendenzen vorstellen.
Dammann: Ausgerechnet die Automobilindustrie setzt auf neue nachhaltige und ressourcensparende Materialien? Also eine Branche, die ja gerade sehr viel Abfall erzeugt und eher als Umweltbelastung gilt.
Die Branche will da weg, das ist ganz klar. Sobald ein Markt entsteht, will die Automobilindustrie natürlich mit dabei sein. Die ist ja nicht per se schlecht. Vor 100 Jahren war so ein Auto die Weltrevolution und jetzt ist es nur noch so ein stinkendes Etwas, was die Welt verpestet. Und dann kommt auf einmal BMW und bringt diese I-Serie auf den Markt. Da geht es um Nachhaltigkeit, da sind eine ganze Reihe neuer Materialien verbaut und man wundert sich, was auf einmal alles möglich erscheint: Gegerbtes Leder mit Extrakten aus Olivenreststoffen, Textilien aus recycelten PET Flaschen oder Seitenverkleidungen aus Naturfasern. Und das ganze mit Elektroantrieb. Es ist natürlich immer eine wirtschaftliche Frage! Aber BMW will hier offensichtlich der Vorreiter einer neuen Ära werden.
Dammann: Welche Trends gibt es derzeit?
Die Tendenzen sind ganz klar. Zum einen beim Thema Nachhaltigkeit. „Biologisierung der Industrie“ (Zitat Dr. Zinke, Gründer der Brain AG) finde ich als Begriff in diesem Zusammenhang sehr passend. Das wird in der Zukunft auf jeden Fall ein Schwerpunkt sein. Denn wir haben in den letzten 50 Jahren viele Materialen entwickelt, die auf Dauer gar nicht zu halten sind. Es ist eigentlich allen Leuten bewusst, dass es so nicht weiter gehen kann. Jetzt brauchen wir vielleicht noch 20 Jahre um den ganzen Schrott wieder loszuwerden.
Da ist das eine Thema, auf das wir setzen, das zweite ist: Für die Herstellung von Materialien weniger Ressourcen zu verbrauchen. Leichtbau und Materialeffizienz ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit. Das kann das Material an sich betreffen, etwa ein festerer Stoff, von dem man weniger benötigt. Oder eine neue Konstruktionsweise, die eine größere Steifigkeit liefert. Dann kann man Material ersetzen, etwa Metall durch Kunststoff, Holz durch Papier oder Bleche durch Textilien. Die Automobilindustrie setzt zum Beispiel auf faserverstärkte Kunststoffe, um Gewicht bei ihren Elektroautos einzusparen. Da kommt dann allerdings wieder das Nachhaltigkeitsproblem ins Spiel. Denn der faserverstärkte Kunststoff ist zwar leichter als das Metall, aber das Metall kann man viel einfacher recyceln. Die Metalle schmeißt man ja nicht weg, sondern schmilzt sie wieder ein, in einem fast geschlossenen Kreislauf.
Das gesamte Interview ist in dem zur Euroshop 2014 erschienen Magazin abgedruckt und beim Verlag erhältlich unter: mua@dfv.de
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