Technologie mit Köpfchen

Smart Materials für intelligentes Design

Design Report
3-2014


Verlag

Konradin Medien (Stuttgart)

Vertraut man den Aussagen der Werkstoffinstitute, werden wir in den nächsten 20 Jahren einen Wandel von Produkten mit hoher konstruktiver Komplexität hin zu solchen auf Basis materieller Intelligenz beobachten können. Ließen sich bislang vielfältige Funktionen in einem Produkt meist nur durch eine Vielzahl von Bauteilen mit hohem Aufwand realisieren, machen die so genannten „smart materials“ Lösungen mit struktureller Einfachheit möglich. Ob elektroaktive Kunststoffe, die unter Einfluss elektrischer Spannung ihre Form verändern, ob magnetische Formgedächtniswerkstoffe, bei denen man eine Rückbesinnung an eine bestimmte Geometrie im Magnetfeld beobachten kann, oder ob nanostrukturierte Oberflächen, die einem Werkstoff Wasser abweisende oder auch kratzfeste Eigenschaften geben: Mit Nachdruck wird an Fortschritten in diesem Bereich gearbeitet, die vor allem auch größere Gestaltungsfreiheiten mit sich bringen.

Und so setzten die Macher der MaterialExperience den diesjährigen Schwerpunkt der Materialschau Ende Januar im Ahoy in Rotterdam auf Werkstoffe für ein „smartes Environment“. Was damit gemeint sein könnte, verdeutlichte Manuel Kretzer vom CAAD der ETH Zürich mit dem Beitrag „Resinance“, einer Installation aus einzelnen Einheiten, die nach Berührung die Oberflächenfarbe verändern, vibrieren, Geräusche von sich geben und dabei wie in einem Schwarm von Organismen aufeinander reagieren können. Unsere Umgebung, ein Organismus? „Mit nichten“, sagt, Manuel Kretzer. „mit den am CAAD durchgeführten Projekten wollen wir bei den Kreativen ein tieferes Verständnis von Materialität herbeiführen und die Kommunikationen mit Wissenschaftlern verbessern. Die meisten smart materials kommen aus anderen Kontexten und werden, falls sie nicht als Produkt zur Verfügung stehen, meist hoch-wissenschaftlich mystifiziert.“ Dass sich bereits heute smarte Lösungen für Architektur und Design finden lassen, stellten die niederländischen Ausstellungsmacher von Materia unter Beweis. Nachleuchtende Pflastersteine, die nach Einbruch der Dunkelheit ein grünliches Licht erzeugen, waren ebenso in Rotterdam zu sehen, wie elektrolumineszierende Kabel von Olmec Advanced Materials aus Großbritannien oder die atmende Fassade (breathing façade), die Prof. Doris Kim Sung aus Tausenden lasergeschnittener Bimetallstreifen umgesetzt hat. Die Bimetalle bestehen aus Metallpaarungen unterschiedlicher Ausdehnungkoeffizienten. Wenn die Sonne die Fassade erwärmt, deformieren die Metallstreifen und lassen Öffnungen erkennen. Die Fassade atmet.

Offensichtlich wird sich das Geschäft mit smarten Lösungen auch für Hersteller von Interiorlösungen in Zukunft lohnen. So arbeiten der Lichttechnikweltmarktführer Phillips und der Teppich-Spezialist Desso seit einigen Monaten an einem Bodenbelag, der unter Integration kleinster LED und lichtleitender Fasern in der Lage sein soll, gezielt Informationen und Pfeile darzustellen, um beispielsweise die Wegeleitung in öffentlichen Gebäuden oder Hotels zu vereinfachen. „Wir wissen, dass die meisten Menschen 90% ihrer Zeit in Innenräumen verbringen. Daher wollen wir mit der neuen Lösung, die Interaktion zwischen Innenräumen und deren Nutzern verbessern,“ sagt Alexander Collot d’Escury (CEO der Desso Group). Ein erster Entwurf wurde für die Gepäckausgabe eines Flughafens konzipiert und erfolgreich getestet. Die gegebenen Informationen auf dem Boden ließen sich in kürzester Zeit umprogrammieren, so dass auf Flugänderungen und unvorhergesehene Änderungen in den Abläufen reagiert werden könne.

Auch die Fraunhofer Institute kümmern sich um einen schnelleren Transfer wissenschaftlicher Entwicklungen aus der Hochtechnologie in den Markt. So wurde am Fraunhofer IZM das Unternehmen stretchable circuits ausgegründet, um Designern die Integration elektronischer Komponenten in Textilien zu ermöglichen. Hierzu wurde ein dehnbares wellenförmiges PU-Substrat entwickelt, das tragbare Schaltkreise und Funktionsmode für Sport- und Outdooranwendungen ermöglichen soll. Gepaart mit Sensoren und aufgedruckten Batterien können Körperbewegungen erfasst und in Interaktion mit der Bekleidung gesetzt werden. Eine interessante Entwicklung zu einem dehnbaren Sensor kommt in diesem Zusammenhang auch aus den Niederlanden. Bei Danfoss wurde ein dielektrisches Elastomer entwickelt, das aus einem Silikonfilm und einer Silberbeschichtung besteht. Wird der Film gedehnt, verändert sich die Ladungskapazität und physikalische Veränderungen wie Druck oder Dehnung ließen sich erfassen.

Für alle diejenigen, die einmal smarte Textilien in Eigenregie herstellen wollen oder für die Beschichtung von Materialien mit Schaltkreisen bislang noch nicht das richtige Werkzeug gefunden haben, wurde am Royal College of Art in London eine sehr einfache Lösung entwickelt. Denn der so genannte Bare Pen enthält die weltweit erste nicht giftige, elektrisch leitfähige Farbe, die wie ein Glitzerkleber aufgebracht werden kann. Mit dem im Internet erhältlichen Stift lassen sich elektronische Systeme auf fast jede Oberfläche aufbringen und zum Beispiel Papier, Holz oder Tapeten mit elektronischen Systemen bestücken. Die Farbe trocknet bei Raumtemperatur und kann mit Seife und Wasser entfernt werden.

Mit all diesen Lösungen wechseln smarte Materialien aus der Hochtechnologie in den gestaltbaren, den DIY Bereich. Designer erhalten in zunehmendem Maße die Möglichkeit, „das Werkstoffverhalten vorherzubestimmen, anstatt es einfach nur zu berücksichtigen“, meint Thorsten Klooster (Autor des Buchs „Smart Surfaces“), der mit seinem retroreflektierenden Beton Blingcrete auch in Rotterdam vertreten war. Wir dürfen also gespannt sein, auf welche Materialausstellungen wir uns in diesem Jahr freuen können. Für die Orgatec vom 21.-25. Oktober 2014 hat die Messe Köln bereits eine Sonderschau mit innovativen Werkstoffen für moderne Arbeitswelten angekündigt. Titel: „Smart Office Materials“

www.blingcrete.com
www.bareconductive.com
www.olmec.co.uk
www.danfoss.com
www.orgatec.de

Bild: Bare Pen für leitfähige Flächen (Quelle: Bare Conductive)