Nachhaltige Materialien für Möbelbau und Interiordesign

Alternative Ressourcen und Herstellungsmethoden

MÖBELMARKT – Fachmagazin für die Möbelbranche
Jubiläumsausgabe zum 50 jährigen Bestehen
November 2011


Verlag

Ritterhammer (Nürnberg)

Leichtbauplatten aus Biomasse der Rohrkolbenpflanze, Hocker mit einer Oberfläche aus bakteriell erzeugter Zellulose oder generativ erzeugte Möbel aus den geschredderten Kunststoffresten von Kühlschränken – die Materialwelt erlebt derzeit eine Revolution. Her- vorgerufen wird sie durch eine Produktkultur, die mehr denn je auf nachhaltige Werkstoffe und Verarbeitungstechnologie setzt. Was das für den Möbelbau und das Interiordesign bedeuten könnte, erklärt Dr. Sascha Peters, Materialspezialist und Inhaber der Agentur für Material und Technologie haute innovation in Berlin.

Das wieder aufgeflammte Umweltbewusstsein in der Gesellschaft sorgt für einen entscheidenden Wandel in der Welt der Materialien. So wenden sich immer mehr Unternehmen im Baugewerbe, Innenausbau und Möbeldesign von Werkstofflösungen ab, die auf Erd- öl basieren und in Produktion und Transport umweltbelastende Stoffe wie zum Beispiel große Menge CO2 freisetzen.

Feigenbaumrinde und Bananenstauden

Auf der Suche nach Alternativen für die bisher zur Anwendung kommenden Materialien gehen Produzenten und Designer sehr ausgefallene Wege. So hat sich das Freiburger Unternehmen Barkcloth auf die Verwendung von Materialien spezialisiert, die in Uganda oder Brasilien in Manufaktur gefertigt werden. Eines der ersten Produkte war Barktex, ein Faservlies, das aus der Rinde eines Feigenbaums von Bauern in Handarbeit erzeugt wird. Vorteile in der Nachhaltigkeitsbetrachtung: Durch die Kultivierung der Bäume werden die landwirtschaftlichen Erträge der Ackerflächen vergrößert. Zudem können die Bäume mehrmals geschält werden. Eines der jüngsten Produkte des Unternehmens ist VegaPlac. Dies sind Werkstoffe, die auf Basis pflanzlicher Faserabfälle unter Zuführung einer thermoplastischen Matrix eines Biokunststoffs erzeugt werden. Beispiel ist BananaPlac, das auf Fasermaterial von Bananenstauden und biologisch erzeugtem Polyurethan zurückgeht.

Die Rohrkolbenpflanze als Basismaterial

Die Naporo GmbH aus dem österreichischen Braunau kommt nun mit einer gänzlich neuen Rohstoffquelle daher. Sie nutzen die Biomasse der Rohrkolbenpflanze zur Herstellung von Dämmstoffen, Leichtbauplatten und Faserformteilen. Während beim Dämmmaterial Q-Flex die Isolationswirkung der in das Schwammgewebe eingeschlossenen Luft genutzt wird, geht die Stabilität der Leichtbauplatte Q-Light auf die besondere Architektur der Pflanze zurück. Denn sie besteht aus langen und reißfesten Fasern, welche extrem druckfeste und sehr leichte Konstruktionen ermöglichen. Auch ein Proteinkleber mit guten Brandschutzeigenschaften konnte von den Entwicklern des Unternehmens aus der Pflanze abgeleitet werden. Ein besonderes Plus: Die Rohrkolbenpflanze hat einen positiven Effekt auf die Umgebung, denn sie reinigt Wasser und kann sogar Arsen abbauen.

Maisspindeln und Kokosnussschalen

Neben der Verwendung außergewöhnlicher Naturmaterialien streben die Hersteller vielfach auch die Nutzung organischer Abfallstoffe an, die auch für den Möbelbau von großem Interesse sind. So wird derzeit am Holzkompetenzzentrum in Wien eine Verbundplatte entwickelt, die im Kern aus Maisspindeln besteht. Die Struktur hat in axialer Richtung der Kolben eine besonders hohe Druckfestigkeit und weist durch die eingeschlossenen Luftkammern gute Dämmeigenschaften auf. Ein weiteres Beispiel sind Coconut Tiles. Sie bestehen aus Schalenreste von Kokosnüssen und werden bei Decor Pietra verwendet, um Mosaike für den Möbel- und Innenausbau herzustellen.

Recycling von Altmaterialien

Dass das Recycling von Altmaterialien unter Nachhaltigkeitsaspekten an Bedeutung gewinnt, lässt sich auch im Möbelbau erkennen. So nutzte der Designer Dirk vander Kooij auf dem DMY Designfestival Berlin im Juni 2011 einen Roboterarm, um Kunststoffpartikel von geschredderten Kühlschränken zu Stühlen und Tischen schichtweise zu verschweißen. Schon seit einiger Zeit vertreibt ein englischer Hersteller unter dem Namen SmilePastics Kunststoffplatten auf Basis von gebrauchten Kunststoffprodukten, in denen man die Rohstoffquelle noch erkennen kann. Bio-Glass ist ein Plattenmaterial von Coverings, das zu 100% auf recyceltes Glas zurückgeht und sich mit seinen geschlossenen Poren besonders für den Einsatz im Küchenbereich eignet. Eine ähnliche Ästhetik weist das unter dem Namen Glasshells bekannt gewordene Material auf, das auf recyceltes Glas und Muschelschalen zurückgeht.

Zellulosekunststoff ohne Bindemittel

Auch Altpapier wird im Möbelbau im- mer beliebter. Das zeigen beispielsweise die Entwürfe von Designern wie Mario Stadelmann. Erfolgsfaktor ist es hier, die Zellulosefasern so miteinander zu verpressen, dass eine druckstabile Konstruktion entsteht, die dem Gewicht einer Person standhalten kann. Auf der Suche nach Alternativmaterial für ölbasierte Kunststoffe wurde in diesem Jahr ein interessantes Forschungsprojekt unter dem Namen „MoldPulp“ gestartet, bei dem ein spritzgießbarer Werkstoff aus der Kombination von Zellulosefasern und dem Biopolymer PLA hervorgehen soll. Dieser soll für den Möbelbau ausreichende Festigkeiten aufweisen und vollständig auf nachwachsende Rohstoffe zurückgehen. Erste Sitzgelegenheiten wurden bereits mit DuraPulp umgesetzt. Im Zusammenhang mit Zellulose sollte eine bahnbrechende Innovation mit Namen Zelfo nicht unerwähnt bleiben. Es ist eine natürliche Matrix, dem Zellulosefasern in unterschiedlichen Mengen zugegeben werden können, um sie zu dreidimensionalen Formteilen zu verarbeiten. Durch Wahl der Faserquelle können die mechanischen Qualitäten beeinflusst werden. Der Verzicht auf ein Bindemittel ist die besondere Qualität im Nachhaltigkeitskontext.

Biologische Methoden und Wachstumsprozesse

Neben der Verwendung ungewöhnlicher Werkstoffquellen in der Natur und der Nutzung von Abfallstoffen zur Herstellung neuer Produkte, gewinnen in den letzten Monaten biologische Methoden und Wachstumsprozesse für die Materialgewinnung mehr und mehr an Bedeutung. Ein Beispiel ist bakteriell erzeugte Zellulose. Diese geht auf Fermentationsvorgänge zurück, in denen Mikroben unter Versorgung mit grünem Tee und Zucker eine hochvernetzte Fadenstruktur erzeugen. Diese kann in jede dreidimensionale Form hineinwachsen, so dass sich bakteriell erzeugte Zellulose mit seiner lederartigen Struktur auch für Möbeldesigner eignet. Unter den Namen „Xylinum“, stammt einer der ersten Entwürfe vom Designer Jannis Huelsen aus Hannover.

Organischer Abfall von Pilzen umsponnen

Ein anderer biologischer Wachstumsprozess für ein Material stammt aus New York von Ecovative Design. Hier wird ein Hartschaum unter dem Namen EcoCradle hergestellt, der sich als Verpackungsmaterial oder als Leichtbaukomponente in einem Verbundwerkstoff für unterschiedliche Anwendungen eignen würde. Die Basis bildet organischer Abfall wie die Schalen von Nüssen, Getreide oder Reis, die von fadenförmigen Myzelien umsponnen werden. Einmal ausgelöst, findet der Wachstumsprozess im Dunkeln so lange statt, bis die Nahrungsgrundlage für die Pilze nicht mehr gegeben ist oder die Umgebung auf eine Temperatur über 43°C erwärmt wird. Dann stirbt die Pilzkultur ab und der Herstellungsprozess ist beendet. Vorteil gegenüber petrochemischen Schaumstoffen ist, dass nur ein Zehntel der Energie bei der Produktion benötigt wird.

Fasermaterial auf Basis von Milchproteinen

Dass sich neben Bakterien und Pilzen auch Enzyme für die Materialherstellung eignen, zeigt QMilk aus Hannover. Hier wird Fasermaterial auf Basis von Milchproteinen erzeugt, die sich vor allem für antibakterielle Heimtextilien eignen würde. Denn die so genannte Milchseide hat keine negativen Auswirkungen auf die Haut von Allergikern und wirkt dem Juckreiz bei Neurodermitis entgegen. Bereits geringe Zusätze der Proteinfasern in Textilien können die positiven Eigenschaften hervorrufen.

Wir können uns also langsam vorbereiten auf eine Materialkultur, die nicht nur Nachhaltigkeitsaspekten genügt, sondern auch zusätzliche, positive Qualitäten für Produkte haben wird, mit denen wir uns in unserem nahen Lebensumfeld umgeben.

Bild: Stuhl aus den Resten geschredderter Kühlschränke (Quelle: Dirk vander Kooij)