Die Macht der Materialien
New material solutions
form special issue
Winter 2007
Verlag
Birkhäuser (Basel)
Die Frage, welches Material sich für welches Produkt am besten eignet, hat für Designer enorm an Bedeutung gewonnen. Heute stehen uns so viele neue Materialentwicklungen offen, dass sie oft sogar Ausgangspunkt für den Design-Prozess sind – und dafür sorgen, dass Ingenieure und Designer noch enger zusammenarbeiten.
„Every idea has a material solution“, titelt die New Yorker Materialdatenbank Material Connexion auf ihrer aktuellen Internetseite. Seit zehn Jahren richtet sie sich an Kreative aus aller Welt mit dem Ziel, Designer in den Mittelpunkt des Innovationsprozesses zu stellen. Der Gründer George M. Beylerian gilt als einer der Ersten, der erkannte, dass die Möglichkeiten neuer Materialien durch die technischen Disziplinen nicht vollständig erschlossen werden. Sein Ansatz: Designer müssen sich mit Materialien auseinandersetzen und Produkte in vollkommen neuen Anwendungskontexten entwickeln. Inzwischen sind Materialinnovationen bei Designern sehr gefragt. Durch Internet-Datenbanken wie Materialworks oderInformationsplattformen wie das Color Material Lab in München haben sich Unternehmen auch in Deutschland den Gestaltern geöffnet. Man will partizipieren am geistigen Potential der kreativen Branchen. Dennoch sind die Vorurteile groß: Zu schwer tut sich der Technologiestandort Deutschland mit seinen über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen mit den Designern und anderen kreativen Disziplinen, die unter Ingenieuren und Wissenschaftlern als eher unberechenbar gelten.
Langsam jedoch scheint das festgefahrene Gefüge aufzubrechen. Es reift die Erkenntnis, dass es nicht mehr ausreicht, Werkstoffe mit Funktionalitäten im Promillebereich hinter dem Komma hervorzubringen. Reinhard Binder von visions2form sagt: „Wir haben alles, was wir zum Leben brauchen und sehnen uns nach Produkten, die unsere Wünsche befriedigen, noch bevor wir diese in Worte kleiden können.“ Frühzeitig in Innovationsprozesse integriert, können Designer bei der Entwicklung des Anwendungszusammenhangs für neue Produkte ein Wörtchen mitsprechen. Dieses brachliegende Potential haben inzwischen auch einige große deutsche Technologiekonzerne erkannt. So ist die Bayer MaterialScience AG seit 2004 mit ihrem Creative Center aus der Abteilung New Business den zukünftigen Kunden von Kunststoffen auf der Spur, und das fächerübergreifend. „Die Zukunftsanwendungen in der Bauindustrie, Robotik, Logistik und der Bereich Optik und Licht sind Scoutingfelder, in denen wir deutliche Entwicklungssprünge erwarten. Die Technologiefelder Nano, Polymerelektronik und nachwachsende Rohstoffe eröffnen neue Lösungswege“, sagt Eckard Foltin, der Leiter des Creative Center.
Durch die Vernetzung von Designern, Architekten, Trendforschern und Technologen werden hier Zukunftsszenarien entwickelt. Der Chemieriese erforscht, in welche Entwicklungen heute investiert werden muss, um auch in der nächsten Dekade noch erfolgreich am Markt bestehen zu können. „Doch auch die Designer müssen auf die Unternehmen zugehen“, so Christof Struhk, Geschäftsführer von Modulor. „Es reicht nicht mehr aus, nur den Wunsch nach einem schönen Produkt zu befriedigen. Inhalte sind es, die in Zukunft zählen.“ Designer sind heute angehalten, sich auch das notwendige Wissen anzueignen, um überhaupt in den Dialog mit Ingenieuren treten zu können. Vor allem wissenschaftliche Einrichtungen versprechen sich von der Integration des Design eine schnellere Überführung neuer Erkenntnisse in marktfähige Produkte. Zu häufig landen herausragende Forschungsergebnisse noch in der Schublade.
„Der Schritt vom Labor in die konkrete Produktanwendung ist immer noch mühsam, aber dringend erforderlich“, sagt Sylvia Leydecker von 100% interior, die vielfältige Erfahrungen mit Nanomaterialien in der Innenarchitektur gesammelt hat. Die idealtypische Vernetzung zwischen Designern und Ingenieuren ist in den letzten Jahren erfolgreich initiiert worden. Beispielsweise wurden in Magdeburg Roboterlaufmaschinen, in Bremen Anwendungen für die Bionik und in Essen Produktkonzepte zur Nanotechnologie entwickelt. Bei der LA Design Challenge 2006 waren Designer der Autokonzerne aufgefordert, umweltfreundliche Concept Cars zu entwickeln.Die Befürworter einer funktionierenden Interdisziplinarität im Entwicklungsprozess kommen aber nicht mehr nur aus den kreativen Branchen. So hat die Stiftung Industrieforschung im letzten Dezember einen Forschungsaufruf gestartet, der eine Optimierung der Schnittstelle Design / Engineering zum Ziel hatte. An der RWTH Aachen spricht man bereits von der kooperativen Produktentwicklung als neuem Forschungsschwerpunkt, auch bei den Messebetreibern hält das Thema in diesem Herbst Einzug. Man richtet sich zusehends auf den steigenden Bedarf an Vernetzung von Kreation und Technologie ein. So geht die Kreativmesse Material Vision (22. und 23. November 2007) mit der Technologieplattform NanoSolutions (21. bis 23. November 2007) zusammen. Und Ingenieurmessen wie Materialica (16. bis 18. Oktober 2007) oder Euromold (5. bis 8. Dezember 2007) veranstalten Design-Kongresse mit klassischen Technologiethemen.
Wir sind Zeuge einer Entwicklung, die vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre und an deren Ende vielleicht die Aussöhnung zwischen den kreativen und technischen Disziplinen steht, zwischen Design und Engineering. Es bewegt sich was im Land der Ideen.
Bildquelle: Mercedes Design
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