Der Traum vom gedruckten Möbel
Potenziale additiver Technologien für die Möbelindustrie
Design Report
4-2015
Verlag
Rat für Formgebung Medien (Frankfurt)
Maßgeschneiderte Zahnkronen oder Bauteile für Autos und Flugzeuge – aus einigen Bereichen sind generativ gefertigte Produkte nicht mehr wegzudenken. In anderen bleiben sie nach wie vor Zukunftsmusik. Dennoch herrscht eine Art visionärer Übermut. Sascha Peters, der für die letzte Interzum die jüngsten Entwicklungen aufbereitete, fasst zusammen.
Glaubt man den Prognosen der Trendforscher steht uns nichts weniger als eine 4. Industrielle Revolution bevor. Drei Stichworte spielen in dem Szenario eine entscheidende Rolle: das Internet der Dinge, intelligent organisierte, dezentrale Fertigungseinheiten und der 3D-Druck. Bleiben wir beim letztgenannten. Die Fortschritte der vergangenen Jahre können beeindrucken. Bei der Bauteilproduktion in Medizintechnik oder Luftfahrt, aber auch in der Schmuckindustrie haben sich generative Fertigungsverfahren bereits bewährt. Individuell angefertigte Prothesen, 3D-gedruckte Leichtbaustrukturen als Verbindungselemente in Flugzeugen oder durch Lasermelting erzeugte Fahrradrahmen sind Beispiele für einen vorteilbringenden Einsatz. Der für die Konstruktionen zur Verfügung stehende Bauraum, eine eingeschränkte Auswahl geeigneter Materialien und die Kostenstrukturen setzten der Verbreitung allerdings bislang noch Grenzen. Doch die Anlagen werden größer, die Materialauswahl vielfältiger und die Anwendungsoptionen generativer Verfahren damit attraktiver. Im Interiordesign lassen sich derzeit interessante Entwicklungen beobachten, mit teils großem Potenzial für die Möbelindustrie.
Entsprechend widmete die letzte Interzum in Köln den additiven Techniken eine extra Ausstellungsfläche und Veranstaltungsreihe. Zu den herausragenden Projekten gehört unter anderem der weltweit erste additiv erzeugte Freischwinger: Die Folkwang-Professorin Anke Bernotat entwickelte den Cellular Loop, dessen leichte, aber belastbare Struktur sich ein Beispiel am Aufbau von Knochen, Zähnen oder Kieselalgen nimmt, in einer Forschungskooperation mit dem Fraunhofer UMSICHT. Ein ebenso gutes Beispiel ist der Keystone-Tisch des Rotterdamer Designstudios Minale-Maeda, dessen Herzstück ein hinsichtlich Materialverbrauch und Stabilität optimiertes Verbindungselement aus dem 3D-Drucker ist. Designer Sven Schulz dagegen, der sich mit seiner Agentur costumind auf Mass Customization und Rapid Manufacturing spezialisiert hat, setzt lasergesintertes 3D-Gewebe als Bespannung für Sitzflächen ein.
Neue Maßstäbe
Auch die jüngsten Entwicklungsfortschritte in der Anlagentechnik fanden sofortige Resonanz in der Designszene. Die derzeit größten in Serie erhältlichen 3D-Drucker der Welt, der Big Rep und der Delta Tower, sind mittlerweile geeignet, vollständig Möbel in einem Arbeitsschritt umzusetzen. Wie das die Arbeit von Gestaltern zukünftig beeinflussen kann, demonstrierte Designer Thorsten Franck mit seinem Projekt „7Tage7Hocker“ bereits eindrücklich. Er ließ einen Delta Tower sieben verschiedene Sitzmöbel innerhalb einer Woche bei einem Minimum an Ressourceneinsatz fertigen.
Die derzeit größten gedruckten Bauteile ermöglichen die Anlagen des im letzten Jahr gegründeten Berliner Unternehmens Big Rep mit einem Bauraum von 1,2 x 1,2 x 1 Meter. Erste Projektbeispiele lieferten sogleich die ebenfalls in Berlin ansässigen Architekten Daniel Büning und Jörg Petri von NowLab sowie der Designer Sebastian Reichel – die dabei auch auf eine ganze Reihe neuer Materialien zurückgreifen konnten, die der Hype um den 3D-Druck in den letzten beiden Jahren auf den Markt gebracht hat. So geht die eigentümliche Wirkung des Glacier-Hockers von NowLab auf ein lichtdurchlässiges Filament zurück, während Sebastian Reichel mit dem goldschimmernden Biokunststoff PLA eine besondere Oberflächenwirkung erzielt.
Und auch anderenorts wird intensiv geforscht und experimentiert. Um die mechanische Festigkeit zu steigern, bieten zum Beispiel einige Hersteller wie CRP aus Modena faserverstärkte Filamente an. Der weltweit erste 3D-Kohlefaser-Drucker wurde im letzten Dezember von dem amerikanischen Designer Mark Forged in Las Vegas vorgestellt. Mit ihm sollen sich faserverstärkte Bauteile herstellen lassen, die 20 mal steifer als Bauteile aus ABS sein sollen und bessere mechanische Festigkeiten aufweisen können als vergleichbare Aluminiumteile.
Algen, Fasern, Filz & Co
Überhaupt kommen die interessantesten Materialinnovationen für den 3D-Druck zurzeit nicht von den bekannten Chemiekonzernen sondern von kleinen Start-Up-Unternehmen und Erfindern mit einem außergewöhnlichen Gespür für technologische Trends. Einer dieser Protagonisten ist Kai Parthy aus Köln. In regelmäßigen Abständen fasziniert er die Szene mit Materialien, die nichts mehr mit den klassischen Kunststofffilamenten zu tun haben. Lay-Wood etwa besteht zu 40 Prozent aus recyceltem Holz und macht in Kombination mit einem Bindemittel den Druck von Bauteilen möglich, die nicht nur nach Holz aussehen sondern auch danach riechen. Lay-Ceramic und Lay-Brick erzeugen keramische beziehungsweise sandsteinartige Teile und mit Lay-Felt oder Lay-Fomm lassen sich filzige und faserige Objekte umsetzen.
Einen wichtigen Stellenwert nimmt auch das Thema Nachhaltigkeit ein. So hat das deutsche Start-Up twoBEars unter dem Namen Bio Fila weltweit erstmals ein Filament auf Basis von Lignin auf den Markt gebracht, das sich unter normalen Bedingungen zersetzt und biologisch abbaubar ist, während das US-amerikanische Unternehmen ALGIX ein Filament aus Algen bietet und QMilk aus Hannover eins auf Basis von Milchproteinen ankündigt hat.
Eine der wohl zukunftsweisendsten Entwicklungen kommt aber aus den Niederlanden. Für den Hocker Veiled Lady nutzt der Designer Eric Klarenbeek eine Masse aus PLA, Pilzsporen, zerkleinertem Stroh und Wasser, aus der er die Außenkontur seines Sitzmöbels druckt. Ist die Geometrie des ungewöhnlichen Möbels aufgebaut, wächst der Pilz in die Hohlräume der fragilen Struktur und gibt ihr eine hinreichend mechanische Stabilität.
Eine Antwort auf die Frage, wann sich der 3D-Druck für vollständige Möbelsysteme nutzen lässt, konnte die Ausstellung auf der Interzum noch nicht geben. Wir erleben aber derzeit eine Art Goldgräberstimmung, die in den letzten zwei bis drei Jahren hunderte neuer Protagonisten im Bereich der generativen Fertigung hervorgebracht hat.
www.bernotat.eu
www.minale-maeda.com
www.customind-id.de
www.thorstenfranck.com
www.cc-products.de
www.algix.com
www.ericklarenbeek.com
Bild: Keystone-Tisch mit gesinterten Verbindern (Design: Studio Minale-Maeda)
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