TÜV Rheinland Innovationstag 2011

Innovationen einer neuen Materialkultur

27. September 2011 · 13:00–19:00

Ort: TH Köln
Veranstalter: TÜV Rheinland Industrie Service
Programmentwicklung: Haute Innovation – Agentur für Material und Technologie
Moderation: Dr. Sascha Peters

Die enger werden Rohstoff- und Energieressourcen zwingen die Industrie zum Umdenken. Wir stehen kurz vor einem einschneidenden Wandel unserer Produkt- und Materialkultur. Werkstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe zur Schonung der Ressourcen, Leichtbaukonstruktionen zur Reduzierung der Kohlendioxidemission oder Materialien mit besonderen funktionalen Eigenschaften wurden in den letzten Jahren am Markt erfolgreich eingeführt. Vor allem die jüngsten Fortschritte in der Nano- und Energietechnologie machen Innovationssprünge möglich, die uns einem energie- und rohstoffeffizienteren Leben näher bringen.

Um den industriellen Einsatz neuer Materialtechnologien und Energiesysteme zu gewährleisten, sind häufig neue Prüfmethoden erforderlich, die nicht auf den konventionellen Prinzipien basieren. Dies betrifft vor allem den Einsatz nachwachsender Rohstoffe, nanobasierter Werkstofflösungen oder alternative Energietechnologien. Anlässlich des TÜV Rheinland Innovationstages 2011 haben Materialhersteller und Technologietreiber ihre jüngsten Entwicklungen vorgestellt und die Herausforderungen für den Markteintritt mit Blick auf die prüftechnischen Notwendigkeiten thematisiert.

Programm

13:00
Biobasierte Materialien

„Spinnseidenproteine für industrielle Applikationen“, Prof. Dr.Thomas Scheibel (AMSilk AG, Gesellschafter)

„Industrielle Anwendungen biobasierter Polyamide auf Pflanzenölbasis“, Dr. Benjamin Brehmer (Evonik Degussa GmbH, High Performance Polymers)

Naturmaterialien bedeuten nicht automatisch einen Verlust an Leistung. Die biobasierten Polyamid-Formmassen VESTAMID Terra von Evonik haben exzellente mechanische und physikalische Eigenschaften. Sie stehen technischen Kunststoffen in nichts nach und besitzen im Vergleich zu rein erdölbasierten Polyamiden eine günstigere Kohlendioxid-Bilanz. Zwei Typen stehen zur Auswahl: Ein zu 100 Prozent biobasiertes Polyamid 1010 sowie ein Polyamid 610, das zu etwa 60 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird. Die Polyamid-Formmassen sind semikristallin und zeichnen sich durch hohe mechanische Festigkeit gegenüber Chemikalien und Spannungsrissen aus. Welche prüftechnischen Herausforderungen sich durch die Verwendung von biobasierten Polyamiden ergeben, wird im Vortrag thematisiert.

„Zelfo – eine natürliche Matrix“, Richard Hurding (Omodo GmbH, Geschäftsführer)

Zelfo ist im Wesentlichen eine natürliche Matrix bzw. ein Bindemittel, dem Fasermaterialien in unterschiedlichen Mengen (min. 5%) zugegeben werden können, um sie zu Laminaten oder 3D-Objekten zu formen. Anwendungen, die derzeit getestet werden, sind unter anderem Wärme- und Schallisolierungen und andere Leichtbauwerkstoffe für die Industrie. Zelfo wurde bis 2003 von der Zellform GesmbH (Österreich) entwickelt. 2004 gründete sich die Omodo GmbH mit dem Ziel, Zelfo auf den Markt zu bringen. Seitdem hat Omodo zusammen mit Partnern das CORE-System für die Produktion von Zelfo-Fasern und grundlegendes Know-how für das 3D-Formpressen entwickelt, sowie zwei weitere Patente angemeldet.

14:30
Leichtbaumaterialien

„Bionisch inspirierte Materialien durch Wölbfacettierung“, Prof. Dr. Frank Mirtsch (Mirtsch GmbH, Geschäftsführer)

Wölbstrukturierte Bauteile weisen eine erhöhte Formsteifigkeit aus und können daher bis zu 30% leichter ausgeführt werden als glattwandige. Das Verfahren beruht auf einem Phänomen der bionischen Selbstorganisation und ist daher besonders material- und oberflächenschonend. Durch das Wölbstrukturieren entstehen weitere vorteilhafte synergetische Gebrauchseigenschaften wie ein vermindertes Dröhnen/Scheppern, eine erhöhte thermische Stabilität bei Temperaturwechsellasten und eine blendarme Lichtreflektion. Bei der Wölbstrukturierung „ploppen“ spontan hexagonale Wabenstrukturen nach dem Energieminimierungsprinzip in dünnwandigen Materialien ein. Der Strukturierungsprozess lässt sich für vielfältige Materialien wie Metalle aller Art, Kunststoffe, Pappe und Papier anwenden.

„Aerofabríx – Innovative Leichttextilien und Ultra-Leichtbau für Energieeffizienz und Energieerzeugung“, Dr. Andreas Bormann (Aeroíx GmbH, Geschäftsführer)

Die Schonung natürlicher Ressourcen und die Nutzung regenerativer Energien sind zu einer zentralen Aufgabe der Technologieentwicklung geworden. Aus der Luftfahrt kommend, entwickelte aeroíx im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe neuartige Werkstoffe und brachte sie in die industrielle Anwendung. Ultraleichte Dämmstoffe können heute den Brennstoffverbrauch von Heißluft-Ballonen halbieren und den Betrieb und die Effizienz von Biogasfermentern nachhaltig steigern. Auch in revolutionären Konzepten der Windenergienutzung kommen hoch spezialisierte Leichtbauwerkstoffe. In dem praxisbezogenen und abwechslungsreichen Vortrag werden neueste Entwicklungen im Bereich der technischen Textilien im Kontext der herausragenden Anforderungen der Luftfahrt, Architektur und Windenergie vorgestellt.

„Kohlenstoffnanoröhren CNT für Leichtbaukonstruktionen und Energiesysteme“, Dr. Egbert Figgemeier (Bayer Material Science)

Bayer MaterialScience hat sich als einer der größten Hersteller von Kohlenstoff-Nanoröhrchen weltweit am Markt etabliert. Baytubes verbessern nicht nur die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien und werden in Brennstoffzellen verwendet. Sie erhöhen auch die Stromausbeute von Windkraftanlagen und machen Leichtbaukonstruktionen möglich, die zum Klimaschutz beitragen. Denn die Nanoteilchen machen Aluminium fast so hart wie Stahl und ermöglichen so den Bau besonders leichter Konstruktionen, Kraftstoff sparender Autos und Flugzeuge. Erste Anwendungen wurden in Kunststofftransportbehälter, Eishockeyschläger oder Sportbooten erfolgreich getestet. Eingebracht in die Lackierung von Schiffsrümpfen, setzen Kohlenstoffnanoröhren den Strömungswiderstand herab.

16:30
Nanomaterialien und intelligente Werkstoffe

„Nano-Oberflächensysteme – Von der Entwicklung in die Anwendung“, Michael Jung (Nanogate AG, Vorstand)

Die Nanogate AG ist ein international führendes Systemhaus für Nanooberflächen und konzentriert sich auf die Veredelung von Hochleistungsoberflächen. Auf Basis der Nanogate-Technologie werden Materialien mit neuen Funktionen geschaffen. Die Herausforderungen bestehen in der Adaption kostengünstiger und verlässlicher Verfahrenstechniken sowie in der Erzeugung der gewünschten Oberflächenqualität. Hier ist es oftmals notwendig, ultradünne Schichten mit gleichzeitig hoher Dauerhaftigkeit zu erzeugen, ohne zugleich die Basiseigenschaften der ursprünglichen Oberfläche wesentlich zu verändern. Von der Entwicklung und Produktion innovativer Nanokomposite und Nanoformulierungen über die Produkt- und Prozessintegration bis hin zur Serienproduktion bietet die Nanogate AG Kompetenz als Innovations- und Umsetzungspartner.

„Flächenheizungen mit Kohlenstoff-Nanomaterialien“, Dr. Walter Schütz (Future Carbon GmbH, Geschäftsführer)

FutureCarbon ist auf die Entwicklung und Herstellung von Kohlenstoff-Nanomaterialien und ihre Veredelung zu so genannten „Carbon-Super-Kompositen“ als Vorprodukte für die weiterverarbeitende Industrie spezialisiert. Ziel ist die Herstellung maßgeschneiderter Lösungen auf Basis von Kohlenstoff-Nanomaterialien mit besonderen mechanischen, elektrischen oder thermischen Eigenschaften erzeugen. Die Beschichtung Carbo e-therm beispielsweise enthält Kohlenstoffnanoröhren und kann bis zu 100 °C beheizt werden und macht eine homogene Erwärmung von Flächen bei geringem Energieeinsatz für Fußböden, Armlehnen in Fahrzeugen oder von Wandbelägen möglich.

„GREENERITY – Neue Technologien für Energiespeicherung und CO2-freie Mobilität“, Dr. Holger Dziallas (SolviCore GmbH, Geschäftsführer)

SolviCore bietet innovative Werkstoff-Lösungen für den zukünftigen Markt der automobilen Brennstoffzellen-Technologie. Zusammen mit ihrer Muttergesellschaft Solvay als Anbieter von Spezial-Polymeren und Umicore als Unternehmen für die Katalyse und das Edelmetall-Recycling ist SolviCore ideal auf die kommenden Herausforderungen zur Umsetzung CO2-freier Mobilität vorbereitet. Die angebotenen Produkte und Komponenten bieten Systembauern die Möglichkeiten, aus regenerativen Stromquellen durch Elektrolyse ohne CO2-Emissionen Wasserstoff zu produzieren und in Brennstoffzellen wieder in Strom umzuwandeln.

18:00
Energetische Materialien und Systeme

„Solarthermische Kraftwerke – Test und Standardisierung“, Dr. Nikolaus Benz (Schott Solar CSP GmbH, Geschäftsführer)

Obwohl solarthermische Kraftwerke bereits seit rund 20 Jahren beispielsweise in Andalusien und den Vereinigten Staaten erfolgreich im Betrieb sind, haben sich noch keine allgemeingültigen Standards für die Prüfung und den Test der Anlagen verbreitet. Mit der Ende 2009 gestarteten Industrie-Initiative „Desertec“ gewinnen solarthermische Anlagen und ihre Prüfung jedoch an Bedeutung. Denn das ambitionierte Ziel lautet, einen Teil der europäischen Energieversorgung durch den Betrieb solarthermischer Anlagen in Nordafrika zu decken. Als weltweit führender Hersteller eines Kernelements einer solarthermischen Anlage, des Receivers, wird Dr. Benz im Vortrag die Konditionen für die Prüfung solartechnischer Anlagen aufzeigen.

„Hürden bei der Zertifizierung von Kleinstwindkraftanlagen“, Thomas Pachl (WindTec Systems AG)

Spätestens seitdem der Siegeszug der Windenergie durch den Wandel der Energiepolitik neue Dimensionen erreicht, arbeiten die Entwickler wie die WindTec Systems AG auch an Kleinstwindkraftanlagen für den Privatgebrauch. Die Herausforderungen sind hier, selbst bei geringer Windgeschwindigkeit die Stromproduktion zu gewährleisten und die Geräuscherzeugung auf ein Minimum zu reduzieren. Insbesondere bei der Zielgruppe der privaten Konsumenten sind Prüf-Zertifikate ein wichtiges Marketinginstrument. Neben der Vorstellung der Kleinstwindkraftanlagen der WindTec Systems AG werden im Vortrag die Hürden bei der Zertifizierung beschrieben.

„Green Power Box – Industrieller Niederdruckdampf für die Stromerzeugung“, Hubert Hamm (UTB Umwelttechnik Brandenburg GmbH)

Mit dem Green Power Container (GPC) wurde eine Technologie rund um ein Entspannungsaggregat entwickelt, die in der Lage ist, überschüssigen Wasserdampf aus industriellen Prozessen mit Drücken von lediglich 0,5 bis 5 bar in elektrischen Strom zu überführen. Da der Niederdruckdampf ansonsten ungenutzt in die Umgebung geleitet würde, sorgt der Green Power Container für die Steigerung der Energieeffizienz. Bei der Stromerzeugung durch Abwärme werden keine fossilen Ressourcen verbraucht, die Energieproduktion ist CO2 frei. Der Strom wird entweder dem Betrieb der industriellen Anlage rückgeführt oder in das öffentliche Stromnetz gespeist. Durch ein genossenschaftliches Beteiligungsmodell können sich Privatpersonen direkt am Betrieb von Green Power Containern beteiligen und somit den Energiewandel in Deutschland vorantreiben. Über ein transparentes Leasingkonzept nutzt die UTB privates Kapital zum Aufbau der Anlagen.

Bild: Aeroix – Ultraleichtes Mehrschichtgewebe mit hoher Wärmedämmung (Quelle: Aeroix GmbH)