Stadt als Mine
Wohnmodul im Forschungsgebäude NEST zeigt Wege für die Kreislaufwirtschaft der Zukunft auf
Design Report
4-2018
Verlag
Rat für Formgebung Medien (Frankfurt)
Zusammenbauen, zerlegen, neu zusammenbauen: Ein Wohnmodul im Forschungs- und Testgebäude NEST der Empa zeigt, wie nachhaltiges Bauen in geschlossenen Kreisläufen funktioniert.
Mit jeder Meldung über Allzeit-Temperaturrekorde, über Kunststoffabfälle in den Ozeanen oder Probleme bei der Beschaffung einzelner Ressourcen, wird deutlich, dass wir unser Konsumverhalten radikal verändern müssen. Die steigende Weltbevölkerung bedingt eine Abkehr von einer Wegwerfmentalität hin zu einem Verständnis der Kreislaufwirtschaft.
Wohnmodul nach den Prinzipien einer Circular Economy
Die Wunschvorstellung von einer Circular Economy macht auch vor der Bauindustrie nicht Halt und befördert Ideen danach, Gebäude in Zukunft als Materiallager zu verstehen, in denen die eingesetzten Rohstoffe für einen Zeitraum zwischengelagert werden, um sie an anderer Stelle erneut zu gebrauchen.
Anfang 2018 wurde im Forschungs- und Testgebäude NEST der Empa ein Wohnmodul eingeweiht, das nach dieser Idee konzipiert wurde und vollständig aus wiederverwendbaren, rezyklierten oder kompostierbaren Materialien besteht. Das Konzept stammt von Werner Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel und hat den eindrücklichen Namen UMAR (Urban Mining & Recycling).
Rezyklierte oder kompostierbare Materialien
Werner Sobek ist Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart. Dirk E. Hebel hat im Jahr 2017 den Lehrstuhl im Fachgebiet Nachhaltiges Bauen am KIT Karlsruhe übernommen, Felix Heisel ist dort Forschungsverantwortlicher.
„Das Wachstum der Weltbevölkerung sowie zur Neige gehende Ressourcen erfordern dringend ein Umdenken im Bauwesen“, resümiert Werner Sobek. „Wir müssen künftig mit sehr viel weniger Materialien für sehr viel mehr Menschen bauen.“
Die Bauwirtschaft wird sich in ihren Abläufen radikal wandeln müssen, um den Prinzipien des Kreislaufgedankens zu entsprechend. Dies betrifft zum einen die verwendeten Materialien zum anderen aber auch Oberflächenbeschichtungen und -behandlungen sowie die Art der Verbindungen der unterschiedlichen Werkstoffe.
Denn am Ende der Lebensdauer müssen die zum Einsatz kommenden Materialien sortenrein und rückstandsfrei dem Gebäude entnommen werden können. Das Tragwerk und große Teile der Fassade des Wohnmoduls bestehen daher aus unbehandeltem Holz.
Für die Einfassungen der Fassade finden Kupferplatten Verwendung, die zuvor im Dach eines Hotels in Österreich zu finden waren, oder aus Platten, die aus eingeschmolzenem Kupfer gefertigt wurden.
Anstelle von Dämmplatten aus Styropor oder PU-Schaum setzt das Entwicklerteam auf solche aus Denimfasern benutzter Jeanshosen oder sind rein natürlichen Ursprungs und bestehen aus landwirtschaftlichen Abfällen und gewachsenem, fadenförmigem Pilzmyzel.
Die Mauerziegel stammen vom niederländischen Unternehmen StoneCycling, die die Steine aus mineralischem Abfall gewinnen und sie erneut zu Backsteinen aus Bauschutt zusammenführen. Für die Wände wurden Werkstoffe aus Lehm, recyceltem Brauchglas, Filz und alten Getränkekartons gewählt.
Die Isolationsmaterialien sollen nach der Verwendung wiedergenutzt werden können. Die Teppichböden sind gemietet und nicht gekauft. Der Miete von Baustoffen wird mit dem UMAR-Modul zu einem Geschäftsmodell. Der niederländische Teppichhersteller bietet die Rücknahme der Bodenbeläge an, um die verwendeten Synthetikgarne einzuschmelzen und daraus erneut Teppichböden zu erzeugen.
„Sämtliche Verbindungen lassen sich einfach rückgängig gemacht werden, weil die Materialien beispielsweise nicht verklebt, sondern gesteckt, verschränkt oder verschraubt sind“, erläutert Felix Heisel die eigentliche Innovation für die Bauindustrie der Zukunft. Denn nur mit einem System neuer Verbindungsideen wird die sortenreine Wiederverwertung oder rein biologische Kompostierung möglich.
So kommt beispielsweise eine mörtelfreie Mauertechnik zur Anwendung, bei der die Ziegelsteine ähnlich wie bei Lego zusammengesteckt und mit Spanngurten fixiert werden. Einzelne Steine können auf einfache Weise ausgetauscht und vollständige Wandstrukturen innerhalb der Räume flexibel verschoben werden.
In Bad und Küche sind die Fugen mit Klemm-, Steck- und Schraubverbindungen abgedichtet. Plattenwerkstoffe aus rezykliertem Brauchglas werden gegen die Dichtungen gepresst und mit Metallhalterungen fixiert. Das Wohnmodul wurde vorproduziert und innerhalb nur eines Tages ins Forschungsgebäude auf dem Empa-Campus eingebaut.
Im Eingangsbereich der Unit können sich Besucher in einer eigenen Materialbibliothek über alle verwendeten Werkstoffe und Bauprodukte informieren. In Kürze werden zwei Studierende in die Dreizimmerwohnung einziehen und sich mit den beteiligten Forschern regelmäßig über ihre Alltagserfahrungen austauschen.
„Mit der Umsetzung und der Demonstration des konsequenten Kreislaufkonzepts in einem realen und bewohnten Bauprojekt, erhoffen wir uns natürlich, dass wir ein Umdenken im Bauwesen anstoßen können“, sagt Enrico Marchesi, verantwortlicher Innovation Manager im NEST.
„In Zukunft sollen Gebäude nicht nur Wohn- und Arbeitsraum bieten, sondern gleichzeitig auch als Materiallager für die nächste Generation dienen.“ Die Stadt wird zur Mine!
Bild: Ansicht des NEST Gebäudes in Dübendorf nahe Zürich mit der fertig eingebauten UMAR Unit im 2. Obergeschoss (Foto: Zooey Braun, Stuttgart)
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