Smart Verbrauchen
Manufactum im Gespräch mit Dr. Sascha Peters
Manufactum Hausnachrichten Herbst 2016
Manufactum GmbH
Dr. Sascha Peters zählt zu den weltweit führenden Materialexperten und Trendscouts für neue Technologien. Mit seiner Agentur HAUTE INNOVATION fandet er nach den jüngsten Materialinnovationen und sucht er nach Lösungen für einen nachhaltigeren Gebrauch unserer Ressourcen. Im Gespräch mit Manufactum nennt er einige Entwicklungen, auf die wir uns in den nächsten Jahren freuen können.
Manufactum: Dr. Peters, Sie leiten eine Trendagentur für neue Technologien in Berlin und schreiben auf Ihrer Website, dass 70% aller Produktinnovationen auf Weiterentwicklungen von Materialien basieren. Was sind derzeit die wichtigen Trends, auf die sich Unternehmen vorbereiten müssen?
Dr. Sascha Peters: Es gibt zwei große Entwicklungen, die wir in unseren Analysen des letzten Jahres verfolgt haben. Es gibt viel Bewegung beim Thema Nachhaltigkeit und bei den sogenannten Smart Materials.
Manufactum: Warum ist denn die Nachhaltigkeit von Produkten zu einem Kaufkriterium geworden?
Sascha Peters: Aktuell merken die Menschen, dass die Art und Weise, wie wir gewisse Produkte verwenden und Ressourcen verbrauchen nicht mehr zeitgemäß ist. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, Materialien zu finden, die uns einem nachhaltigeren Umgang mit unseren Ressourcen näher bringen. Eine Lösung wären Werkstoffe, die sich nach Beendigung ihrer Funktion biologisch abbauen und keinen Abfall hinterlassen. So wie es bis vor einigen Jahrzehnten noch gewesen ist, als der Mensch quasi keinen Abfall kannte. Alles wurde genutzt, was die Natur hergab. Bei einigen Innovationen kann man eine Rückbesinnung auf diese traditionellen Mechanismen bereits erkennen. In den USA wurde zum Beispiel ein Verpackungsschaumstoff aus Pilzen entwickelt. Er besteht zu 100% aus natürlichen Stoffen und zersetzt sich nach Gebrauch innerhalb weniger Wochen.
Manufactum: Ist denn Langlebigkeit nicht als positiv zu bewerten?
Natürlich! Aber nicht für jedes Produkt gleichermaßen. Biomaterialien eignen sich besonders für die Dinge des täglichen Lebens, die keine lange Lebensdauer aufweisen, wie Verpackungen. Die transportierten Güter sollen aber auch vor Feuchtigkeit geschützt sein. Kunststoffe wurden entwickelt, die einige herausragende Eigenschaften aufweisen, leicht, preiswert und wasserdicht sind. Problem ist nur, dass konventionelle Kunststoffe sich nach Beendigung der Lebensdauer nicht zersetzen und mittlerweile ein erhebliches Umweltproblem darstellen. Unmengen von Kunststoffresten schwimmen in den Weltmeeren umher. Würde man sie einsammeln und recyceln, könnte man das Problem in den Griff bekommen. Doch in vielen Ländern ist ein Entsorgungssystem nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Zudem sorgen Zusätze, Verstärkungsfasern und Additive dazu, dass Kunststoffe häufig nur unter Qualitätsverlust wiederzuverwenden sind.
Manufactum: Welchen Lösungsansatz schlagen Sie vor?
Ganz einfach: Wir müssen zu geschlossenen Materialkreisläufen kommen. Unsere Produktkultur darf nicht mehr wie selbstverständlich den „Verbrauch“ einer Ressource hinnehmen, sondern muss ihren „Gebrauch“ zum Ideal machen. Wir leihen uns die Ressource aus der Natur und geben sie ohne Verlust an Performance wieder zurück. Der Reststoff des einen Produktes ist der Ausgangsstoff für einen neuen. Upcycling anstelle von Downcycling.
Manufactum: Ist es denn realistisch, dass wir künftig nicht mehr mit Abfällen umgehen müssen? Das wäre ja ein vollkommen neues System.
Das stimmt. In einer ganzen Reihe von Industrien sind viele gute Ansätze bereits heute erkennbar. Jedoch ist das Denken in geschlossenen Werkstoffkreisläufen ein radikal neuer Ansatz, der alles verändern wird. Wenn wir es schaffen, unsere Ressourcen im Kreislauf zu halten, ist es ja auch egal, wie lange ein Produkt genutzt wird oder wie oft. Wir würden uns vom Dogma der Effizienz befreien.
Manufactum: Das würde ja bedeuten, dass ein langlebiges Produkt nicht unbedingt auch automatisch ein als „gutes Produkt“ bezeichnet werden kann?!
Das Ideal von der Langlebigkeit eines Produktes, das vom Großvater an den Enkel weitergegeben wird, ist in Zukunft nur noch eine Wahrheit von vielen. Klar wird es als positiv angesehen, wenn nicht ständig etwas neu produziert werden muss. Aber in einem langlebigen Produkt aus hochwertigen Werkstoffen wie Metallen sind ganz automatisch eine große Menge Ressourcen gebunden. Das muss in einem System auf Basis permanenter Zirkulation nicht unbedingt erwünscht sein. Für die Zukunft wird es wichtig sein, dass die für die Produktion und das Recycling benötigte Energie aus regenerativen Quellen stammt. Dieses große Ziel wurde von der Bundesregierung für das Jahr 2050 ausgerufen und ist Kern der Energiewende.
Manufactum: Der Faktor Energie ist also ein bedeutender Aspekt, um die Nachhaltigkeit von Produkten zu bewerten?
Solange wir Energie aus fossilen Quellen beziehen und dabei große Mengen an CO2 freisetzen, hat dieser Faktor einen erheblichen Einfluss auf die Ökobilanz von Produkten. Dies gilt vor allem für Produktgruppen, die bei Ihrer Nutzung noch zusätzlich Energie benötigen, z.B. zur Erwärmung von Wasser bei der Kaffeemaschine. Deshalb ist es so wichtig, unser Energiesystem auf andere Füße zu stellen und regenerative Quellen in allen Facetten auszunutzen. Die Energiewende soll in gut 30 Jahren geschafft sein. Von da an werden wir es mit Überproduktionen von „grüner“ Energie zu tun haben. Diese können wir dann einsetzen, um zum Beispiel den hohen Anteil an Kohlendioxid in der Luft zu reduzieren. CO2 wird in Forschungsprojekten bereits heute als Ressource erkannt und kann wichtige Ausgangsstoffe für die Herstellung einiger Massenkunststoffe liefern.
Ein Vorbild für die Nutzung energetischer Überproduktionen aus regenerativen Quellen ist Island. Dort war man durch die Folgen der Finanzkrise gezwungen, Kraftstoffe für die heimischen Fahrzeuge selber zu erzeugen. Der Weltmarktführer für die Gewinnung von Methanol aus Kohlendioxid, Wasserstoff und Ökostrom kommt von der Insel. Das Kohlendioxid stammt von industriellen Abgasen. Das Methanol wird für die Treibstoffproduktion genutzt oder als Rohstoff für die Chemieindustrie exportiert.
Manufactum: Welche Entwicklung hat Sie in den letzten beiden Jahren am meisten beeindruckt?
Eine der spannendsten Projekte haben wir am Royal College of Art in London gefunden. Dort hat der Designer Julian Melchiorri unter dem Namen „Silk Leaf“ das erste von Menschenhand geschaffene biologische Blatt vorgestellt. Wie bei seinem natürlichen Vorbild enthält das künstlich geschaffene Grün Chloroplaste von echten Pflanzenzellen, die in ein Gerüst aus extrahierten Seidenproteinen eingebettet werden. Nach Aussage des Designers ist das „Silk Leaf“ in der Lage, Kohlendioxid zu absorbieren und unter Einwirkung von Wasser und Licht in Sauerstoff und andere organische Verbindungen umzuwandeln. Erste Anwendungsszenarien skizzieren individuelle Freiformflächen von Wänden im Innen- und Außenbereich sowie Kombinationsmöglichkeiten mit Beleuchtungssystemen.
Manufactum: Ist das dann ein Beispiel für ein smartes Material?
Oh ja, das könnte man so sagen. Denn smarte Materialien sind ja nicht wirklich intelligent. Sie reagieren nur auf Umgebungseinflüsse, verändern dabei ihre Eigenschaften oder setzen Stoffe frei bzw. absorbieren sie. Die High-Tech Werkstoffe sind in der Gesellschaft bislang noch nicht richtig bekannt, weil die Anwendungen in der Breite fehlen. Es hat sich aber einiges getan. So wird aktuell am Fraunhofer IWU z.B. an einem Sonnenschutz gearbeitet, der auf Wärme reagiert und sich bei Erreichen einer bestimmten Temperatur selbsttätig öffnet. Das funktioniert mit Formgedächtnislegierungen, die eine bestimmte Geometrie in ihrer Struktur gespeichert haben. Wird es zu warm, erinnert sich das Material daran, dass es einmal in einer anderen Form war und wandelt sich in diese zurück.
Manufactum: Smart heißt dann auch, dass weniger Ressourcen für eine bestimmte Funktion benötigt werden?
Genau! Man kann sogar sagen, dass intelligente Werkstoffe überall dort Erfolg haben werden, wo sie den Ressourceneinsatz reduzieren werden. Und das ist dann auch ein Nachhaltigkeitsaspekt. Ich meine damit nicht, dass die Herstellung von Smart Materials per se nachhaltig wäre, sondern dass ihre Verwendung dazu führen wird, dass insgesamt weniger Ressourcen verbraucht werden.
Bild: Silk Leaf (Quelle: Julian Melchiorri)
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