
Bioinspiriertes wetterreaktives Verschattungssystem
4D-Druck mit hygromorphen Materialien
24. Januar 2025
Die Bewegung eines Kiefernzapfens diente Forschenden der Universitäten Freiburg und Stuttgart als Vorbild zu einem energieautarken Fassadensystem, das sich selbstständig auf die Außenbedingungen reagiert und sich dem Wetter anpasst. Für den Test der Funktionsfähigkeit wurde die „Solar Gate“ an der livMatS Biomimetic Shell, einem Forschungsgebäude der Universität Freiburg angebracht. Die Zeitschrift „Nature Communications“ hat die Forschungsergebnisse veröffentlicht.
Reaktionsfähigkeit des Materials für adaptive Fassaden
Für wetterreaktive Fassadensysteme sind meist technische aufwendige Vorrichtungen notwendig. „Unsere Forschung untersucht, wie wir die Reaktionsfähigkeit des Materials selbst durch computerbasierte Planungsmethoden und additive Fertigung nutzbar machen können“, erläutert Professor Achim Menges (Leiter des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung ICD) der Universität Stuttgart den Ansatz seiner langjährigen Forschung. „Wir haben ein Verschattungssystem entwickelt, das sich abhängig von den Wetterbedingungen selbstständig öffnet und schließt, ohne dass dafür jegliche Betriebsenergie oder mechatronische Elemente benötigt werden.“
Auf der Basis eines bioinspirierten Aufbaus und mithilfe natürlicher Materialien ist es Forschenden der Universitäten Stuttgart und Freiburg gelungen, das Fassadensystem „Solar Gate“ so zu entwickeln, das es als erstes wetterabhängiges Verschattungssystem selbsttätig funktioniert, ohne auf elektrische Antriebsenergie angewiesen zu sein. Als Vorbild für das „Solar Gate“ dienten den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Bewegungsmechanismen von Kiefernzapfen, die sich bei Veränderungen von Luftfeuchtigkeit und Temperatur öffnen und schließen, ohne dabei Stoffwechselenergie zu verbrauchen.

Dem Team ist es gelungen, die richtungsabhängige Struktur der Zellulose in Pflanzengeweben mit konventionellen 3D-Druckern nachzubilden. Zellulose ist ein natürliches, reichlich vorhandenes und erneuerbares Material, das bei Feuchtigkeitsschwankungen aufquillt bzw. schrumpft. Diese Eigenschaft wird als Hygromorphie bezeichnet, ist in der Natur häufig zu beobachten, beispielsweise beim Öffnen und Schließen der Schuppen von Kiefernzapfen oder bei den Blütenständen der Silberdistel.
Das Forschungsteam machte sich diese hygromorphe Eigenschaft zunutze, indem es biobasierte Zellulosefasern maßgefertigt und im 4D-Druckverfahren in eine zweischichtige Struktur gebracht hat, die von den Schuppen des Kiefernzapfens inspiriert ist. Materialsysteme, die per 4D-Druckverfahren, einem Verfahren der additiven Fertigung, hergestellt werden, können ihre Form als Reaktion auf äußere Einflüsse selbstständig verändern.

Für das „Solar Gate“ entwickelten die Forschenden eine computergestützte Herstellungsmethode zur Steuerung der Extrusion von Zellulosematerialien mit einem konventionellen 3D-Drucker, die das selbstformende und reversible Verhalten von 4D-gedruckten Materialsystemen nutzt.
Bei hoher Luftfeuchtigkeit nehmen die Zellulosematerialien Feuchtigkeit auf und dehnen sich aus. Die bioinspirierten, gedruckten Elemente rollen sich ein und öffnen sich. Umgekehrt geben die Zellulosematerialien bei niedriger Luftfeuchtigkeit ihre Feuchtigkeit ab und ziehen sich zusammen, wodurch sich die gedruckten Elemente abflachen und schließen.
Das Forschungsteam testete die Funktionalität und Haltbarkeit des bioinspirierten adaptiven Verschattungssystems über ein Jahr lang unter realen Wetterbedingungen. Dann wurde das „Solar Gate“ an der livMatS Biomimetic Shell angebracht, einem Baudemonstrator des Exzellenzclusters IntCDC und des Exzellenzclusters livMatS, der als Forschungsgebäude der Universität Freiburg dient.
Das Verschattungssystem, das an einem nach Süden ausgerichteten Dachfenster installiert ist, unterstützt die Klimaregulierung des Gebäudes. Im Winter öffnen sich die Verschattungselemente und lassen Sonnenlicht herein, so dass der Innenraum sich auf natürliche Weise erwärmt. Im Sommer schließen sie sich und minimieren die Sonneneinstrahlung. Angetrieben werden diese Prozesse ohne elektrische Energiezufuhr, allein durch tägliche und saisonale Wetterveränderungen.
Das „Solar Gate“ stellt somit eine energieautarke und ressourceneffiziente Alternative zu herkömmlichen Verschattungssystemen dar. Da für den Komfort in Innenräumen typischerweise viel Energie benötigt wird und Gebäude einen erheblichen Anteil an den weltweiten Kohlenstoffemissionen haben, sind Lösungen zur Verringerung des Energiebedarfs für Heizung, Kühlung und Lüftung von großer Bedeutung.
Forschungsbericht unter: www.nature.com/articles/s41467-024-54808-8
Bild (oben): Das adaptive, selbstanpassende Verschattungssystem „Solar Gate“ unterstützt die Klimaregulierung von Gebäuden (Foto: ICD/IntCDC University of Stuttgart)
Bild (Mitte): Inspiriert von den Schuppen eines Kiefernzapfens wird die zweischichtige Struktur mit einem 4D-Druckverfahren aus zellulosehaltigen Materialien hergestellt (Foto: ICD/IntCDC University of Stuttgart)
Bild (unten): Mit Hilfe des bioinspirierten 4D-Drucks und biobasierten Zellulosematerialien hat das Forschungsteam ein adaptives Verschattungssystem entwickelt, das auf tägliche und saisonale Wetterveränderungen reagiert (Foto: ICD/IntCDC University of Stuttgart)
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