Von Fischschuppenbrillen und Algenakkus

Designkuratorin Katharina Horstmann im Gespräch mit Dr. Sascha Peters

Goethe-Institut, Mai 2013

Mode aus Bakterienzellulose, Leuchten aus Algen oder Formteile aus Pilzen: Die Anwendung von Naturmaterialien und Recyclingstoffen steigt stetig – auch dank einer neuen Offenheit gegenüber innovativen und ressourcenschonenden Konzepten. Ein Gespräch mit Dr. Sascha Peters, der in Berlin mit seiner Agentur Haute Innovation an der Schnittstelle zwischen Material, Technologie und Anwendung forscht.

Horstmann: Herr Dr. Peters, was motiviert den Konsumenten heute dazu, nach Grün zu greifen?

Dr. Sascha Peters: Unser Bewusstsein hat sich in den letzten zehn Jahren durch die Bio-Supermärkte verändert. Heute fragt der Konsument verstärkt nach natürlichen Produkten, die keine Gefahren bergen – nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern in allen Industriesparten. Das Thema Nachhaltigkeit ist zum Schlagwort für einen Wandel hin zu einer besseren und saubereren Produkt- und Designkultur geworden. Dabei wird immer deutlicher, dass bei der Entwicklung dieser neuen Kultur im Umgang mit den Ressourcen vor allem Designer eine besondere Verantwortung übernehmen können.

Horstmann: Wie das?

Der Designer kann über die Wahl der eingesetzten Werkstoffe entscheidenden Einfluss auf die Nachhaltigkeit unserer Produktwelt nehmen – und das macht er auch immer mehr. Eine Möglichkeit ist das Recycling von Abfällen. Die Berliner Designerin Johanna Keimeyer zum Beispiel baut aus altem Kunststoff skulpturale Kronleuchter. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung von Reststoffen und Abfallmaterialien, wie zum Beispiel organische Abfälle. Die Firma 3W Tout Bois aus Monaco stellt aus den nach der Ernte verrottenden Staudenfasern der Bananenpflanzen ein Furnier her. Der in England lebende Designer Erik de Laurens wiederum hat aus Fischschuppen einen Kunststoffersatz für die Herstellung von Brillengestellen und Bechern entwickelt. Beides sind reine Abfallmaterialien, die üblicherweise nicht verwertet werden.

Horstmann: Wie sieht es mit Algen aus?

Die Hamburger Designerin Julia Lohmann hat aus ihnen nicht nur Leuchten hergestellt, sondern auch mit den Werkstätten Hellerau daran experimentiert, die Halme wie Möbelfurnier zu verwenden.

Algen sind ein sehr interessantes Material. Sie wachsen nicht auf Flächen, sondern im Wasser. Ich kann sie kultivieren, wo immer ich will, denn sie brauchen nur zwei Nährstoffe: Wasser und Sonnenlicht. Ich könnte also auch Behältnisse in der Wüste aufstellen, die ich mit Salzwasser fülle – da gibt es schon einige Versuche. In den Behältern fangen die Algen an zu wachsen, und es entsteht ziemlich schnell Biomasse, aus der ich so einiges machen kann.

Horstmann: Was zum Beispiel?

Ich kann Algen beispielsweise als Verstärkungsfaser für Kunststoffprodukte nutzen oder aus ihnen Kunststoffe herstellen, wie zum Beispiel Schaumstoffe. Das Verpackungszentrum Graz hat „Alginsulat“ entwickelt, ein Produkt, das wie Styropor aussieht, aber aus Algen gemacht wird. Eine weitere Möglichkeit ist die Herstellung von Treibstoffen. Das aus Braunalgen gewonnen Alginat kann auch als Kit zur Herstellung von Akkus aus Silizium verwendet werden, die die konventionellen Lithium-Ionen Batterien in Elektroautos ersetzen können. Es gibt viele Versuche, Algen zu verwenden. Das Besondere an ihnen ist, dass sie im Volumen und nicht auf einer Fläche wachsen. Somit wird bei dem Anbau nicht in die Lebensmittelkette eingegriffen wie bei Erdölalternativen auf Basis von Zucker oder Maisstärke.

Horstmann: Der Ansatz, die Natur künstlich nachzuahmen, um neue Materialien zu entwickeln, scheint sich vermehrt durchzusetzen. Was ist besonders auffällig an dieser Entwicklung?

Bei der Suche nach Alternativen für synthetisch erzeugte Werkstoffe lässt sich zurzeit besonders die Kopie organischer Wachstumsprozesse beobachten, die durch Proteine, Bakterien, Enzyme oder Pilze ausgelöst werden. Ein Beispiel ist die PolyNature GmbH aus Halle, die Biokunststoffe mit Proteinen aus Abfällen der Futtermittelindustrie erzeugen. Ecovative Design aus New York dagegen benutzt die auf dem Baum wachsenden Myzel-Pilze, um 100 Prozent biologische Hartschaumstoffe für Verpackungen herzustellen. Sie nutzen Nebenprodukte wie Reishüllen oder Nussschalen und sprühen den Pilz darauf, der dann um die Abfälle wächst. Das Multi-Technologieunternehmen 3M hat sich in die Firma eingekauft, was das Potenzial dieser Entwicklung zeigt. Aber auch die Zellulose erfährt ein großes Interesse. Das Berliner Label ett la benn hat die Leuchten- und Vasenserie „Kami“ entworfen, die zu 100 Prozent aus bioabbaubarer Zellulose besteht. Die Londoner Designerin Suzanne Lee hingegen stellt aus Bakterienzellulose Mode her. Und der Berliner Jannis Huelsen hat sie für die Anfertigung seines Hockers „Xylinum“ genommen, dessen Oberfläche eine lederartige Struktur aufweist. Das besondere an der Bakterienzellulose ist, dass sie in nahezu jede Form hineinwachsen kann, was sie für die unterschiedlichsten Formgebungen interessant macht.

Horstmann: Stichwort „in eine Form hineinwachsen“: Der Berliner Designer Werner Aisslinger hat einen Stuhl „gezüchtet“, bei dem Weide in ein formgebendes Gerüst hineinwächst. Er wird also nicht produziert, sondern wächst aus eigener Kraft?

Designer können den neuen Technologien ein Gesicht geben, indem sie Anwendungsszenarien entwickeln, an die die Hersteller, Entwickler, Forscher oder Wissenschaftler noch gar nicht gedacht haben. Ein Stück weit hat Werner Aisslinger das mit dem Projekt „Chair Farm“ gemacht. Er hat ein neues Prinzip aufgestellt – ein neues Denken wie Möbel in der Herstellung funktionieren können. Der Einfluss des Materials auf den Designprozess hat sich enorm gewandelt. Denn im Gegensatz zu früher werden heute die Designer nicht mehr durch die zur Verfügung stehenden Materialien eingeschränkt, sondern zu neuen Lösungen inspiriert.

Arbeiten der genannten Designer

Bild: Algenleuchte (Quelle: Julia Lohmann)