Textile Strategien

A world full of fabrics

form 229
November/Dezember 2009


Verlag

Birkhäuser (Basel)

„Past, Present and Future“ so lautet der Titel des Films, der die Besucher des Pavillons von Zaha Hadid über die Entwicklung der Stadt Chicago informiert. Das muschelartige Gebäude wurde anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Burnham Plans im letzten August im Millenium Park der amerikanischen Metropole eröffnet. Hatte der Stadtplaner Daniel Burnham Anfang des 20. Jahrhunderts eine Vision für die städtebauliche Zukunft Chicagos vor allem mit modernen Steingebäuden verbunden, so scheint der in der Nacht leuchtende Hadid Pavillion eine neue Zukunftsperspektive aufzuzeigen. Denn er besteht aus einer Aluminiumrohr-Konstruktion, über die eine flexible textile Außenhaut gezogen wurde. „Fabric is both a traditional and a high-tech material whose form is directly related to the forces applied to it – creating beautiful geometries that are never arbitrary.“ beschreibt Hadid den Grund für die Materialwahl.

Tradition und Zukunft verbindet auch der Prada-Transformer vor der Kulisse des alten Königspalasts in Seoul. Der niederländische Star-Architekt Rem Koolhaas hat eine in ihrer Form anpassbare Halle geschaffen, die sich mit wenigen Drehungen vollkommen verändern lässt. Kräne können die 20 Meter hohe und 180 Tonnen schwere Konstruktion innerhalb von Stunden auf eine der vier Seitenflächen kippen und den Raum dem jeweiligen Event anpassen. In diesen Dimensionen sieht der Umbau aus wie ein irreales Spiel mit geometrischen Körpern: Die semi-transluzente textile Außenhaut unterwirft sich flexibel den Veränderungen und macht die entstehenden Formen nach Außen ablesbar. „Er funktioniert wie ein dynamischer Organismus“, so der Architekt.

Textilien sind aus Architektur, Produktdesign und Technik nicht mehr wegzudenken. Zwar ist die Produktion klassischer Bekleidungsstoffe aus Europa längst in Richtung Südost-Asien abgewandert, doch erleben textile Materialien in den letzten Jahren eine Renaissance in Design, Medizin, Verfahrenstechnik und Lebensmittelindustrie. „Der Markt der technischen Textilien ist in den letzten Jahren ein absoluter Wachstumsmarkt, in dem durch Kombination unterschiedlicher Materialitäten ständig neue Strukturen und Qualitäten entstehen“ sagt Prof. Dr. Jörg Reiff-Stephan (Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee). Technische Textilien übernehmen nicht mehr nur umhüllenden Funktionen sondern weisen immer auch eine Zusatzfunktion auf mit besonderen thermischen, mechanischen oder chemischen Eigenschaften, die sie vor allem für professionelle Gestalter interessant werden lässt. „Denn zeitgenössische Architektur und modernes Design sind zunehmend in dynamische Prozesse eingebunden. Technische Textilien sind dann gerade bei temporären Oberflächen und fließenden Formen die ideale Materialisierung mit vielschichtigen Eigenschaften!“ so der der Berliner Architekt Jürgen Mayer H.

Davon sind auch die Autobauer von BMW überzeugt und glauben fest an die Zukunft technischer Textilien im Fahrzeugbau. Mit der Konzeptstudie GINA haben die Designer zur Eröffnung des Münchener BMW-Museums ein Fahrzeug vorgestellt, das anstelle einer zehnteiligen metallischen Verkleidung mit einer witterungsbeständigen textilen Haut bespannt ist. Ziel der BMW Designer war es, ein Auto wie aus einem Guss erscheinen zu lassen und Funktionselemente erst dann sichtbar werden zu lassen, wenn sie in Gebrauch sind. Die Scheinwerfer erscheinen zum Beispiel erst dann, wenn der Fahrer das Licht einschaltet und wirken durch die sich öffnende Haut wie ein menschliches Auge. Durch Verwendung des textilen Materials kann BMW zudem einige wichtige Kostenfaktoren reduzieren, denn das silberne Kleid besteht nur aus vier Teilen und lässt sich in zwei Stunden fest um die Unterkonstruktion spannen.

Wirken diese High-Tech Anwendungen für technische Textilien fast noch so, als seien sie ihrer Zeit voraus, machen einige aktuelle Projekt deutlich, wie im Produkt- und Modedesign die faszinierenden Qualitäten heute schon die Gestaltungsmöglichkeiten enorm erweitern. Schon Ende der 90er Jahre zeigte Jürgen Mayer H. in einem als Kunstprojekt deklarierten Entwurf von temperaturempfindlicher Bettwäsche die Potenziale als einer der ersten. Heute ist die Fülle an Projekten mit modernen technischen Textilien kaum mehr zu übertreffen. Denn ausgestattet mit Nanobeschichtungen, Formgedächtnisgarnen, thermosensitiven Pigmenten oder eingenähten elektrischen Elementen können sie mal Wasser und Schmutz abweisend, mal Licht reflektierend und selbstleuchtend sein und mal auf Umgebungseinflüsse und Wärme reagieren. Und durch Integration und Einnähen von Dünnschichtsolarzellen kann aus einem einfachen Gewebe ein Produkt entstehen, das völlig autark Strom produziert.

Die Ergebnisse aktueller Entwurfsprojekte sind bemerkenswert. Farbverändernde Tapeten, mit den Fingern beschreibbare Kapuzen, aufleuchtende Mäntel, oder Polizeiuniformen, die durch Handzeichen die Farbigkeit verändern und in Grün, Gelb oder Rot aufleuchten. Vor allem die Berliner Modedesigner sind in der Verwendung technischer Textilien sehr einfallsreich und profitieren von den Erfahrungen von Dr. Zane Berzina (Professorin Kunsthochschule Berlin Weißensee), die sie als Künstlerin und Designerin bei der Entwicklung technischer Textilien in zahlreichen Projekten mit Forschungseinrichtungen gesammelt hat. Aber auch an anderen Designstandorten wird verstärkt mit technischen Textilien gearbeitet. So hat die Designerin Kathy Schlicker in London eine ganze Reihe im Dunkeln leuchtender Stoffanwendungen entwickelt, die unter dem Namen „Puff & Flock“ zu haben sind. Die Architektengruppe KVA aus Boston entwickelte für die Konzeptstudie Soft House einen Vorhang mit integrierten Solarzellen, die in der Lage sind, bis zu 16.000 KWh Strom zu erzeugen und zeigt damit einmal mehr, wie die intelligente Materialverwendung zur Energiereduktion beitragen kann.

Neben neuen Materialqualitäten technischer Textilien nutzen Designer auch innovative Fertigungsprozesse, um ihre Entwürfe in Form zu bringen. Die Lampe „Blown-fabric“ des japanischen Designbüros nendo, die auf der Tokyo Fiber ’09 Senseware kürzlich vorgestellt wurde, besteht beispielsweise aus einem langfasrigen thermoplastischen Polyestervlies, das mittels Heißluft unter Druck in eine Form geblasen werden kann. Ziel der Designer war es, chochin also klassische japanische Papierlaternen nachzubilden, die aus dünnen Bambusstreifen und Papier des Maulbeerbaumes bestehen. Heraus kamen sanft schimmernde Gebilde mit einer individuellen Formensprache und unendlich vielfältigen Mängel, da der Blasprozess wie beim Glasblasen nur bedingt zu kontrollieren ist.

Die Vielfalt der Beispiele lässt darauf schließen, dass der Trend zur Verwendung technischer Textilien in den nächsten Jahren anhalten wird. Wir dürfen gespannt darauf sein, welch wegweisende Entwürfe Architekten und Designer in der Zukunft entwickeln werden.

Bildquelle: Nendo Design