Pappplattenpiloten

Fahrzeugdesign mit dem Akkuschrauber

Design Report
5-2013


Verlag

Konradin Medien (Stuttgart)

Sie nähten, falteten, klebten, schnitten und gaben sich so eigentümliche Namen wie „Screwdrivers“, „Woodpecker“ oder „Paperplane“. Ende Juni fand einer der ungewöhnlichsten Designwettbewerbe weltweit statt: Das Rennen mit dem Akkuschrauber!

Studierende aus Deutschland und der Schweiz waren bereits zum achten Mal nach Hildesheim gekommen, „Kettcar“-ähnliche Gefährte mit Akkuschrauberantrieb in einem Wettkampf zu testen. Dabei kamen die knapp 2.000 Zuschauer an der Strecke auf dem Gelände der Robert Bosch GmbH im Hildesheimer Wald voll auf ihre Kosten. Mit raffinierten Konstruktionen, spannenden Boxenstopps sowie ad-hoc-Reparaturen in letzter Sekunde wussten die Teams aus Deutschland ebenso zu begeistern wie mit den zahlreichen turbulenten Überholmanövern auf der kurvigen Strecke. Immerhin konnten mit den 18 Volt des Akkuschraubers Geschwindigkeiten von bis zu 35 Stundenkilometer erreicht werden.

Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Riesengaudi, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als zeitgemäßes und äußerst ernsthaftes Projekt. Denn es geht bei den Gefährten nicht nur um Geschwindigkeit, sondern vor allem um die Entwicklung ungewöhnlicher Lösungen für Leichtbau und den Einsatz alternativer Antriebskonzepte. Der Erfolg der Elektromobilität wird in entscheidendem Maße von Fortschritten zur Gewichtsreduzierung abhängen, prognostizieren die Experten. So hatten die 12 teilnehmenden Teams in diesem Jahr die Vorgabe, den papierbasierten Werkstoff „Kraftplex“ zu verwenden und in der Konstruktion ein strukturgebendes Element mit einer Mindestlänge von 60 cm zu überbrücken.

„Kraftplex besteht zu 100 Prozent aus Zellulose, wird aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und kommt ohne Bleichmittel und Klebstoffe aus“, führt der Materiallieferant Franz Betz von der Well GmbH aus. Und Professor Andreas Schulz von der HAWK Hildesheim freut sich, dass „wir bei Kraftplex sehen, dass es umweltfreundliche Alternativen zu herkömmlichen Kunststoffen gibt. Das Holzblech wächst nach und beweist nicht nur bei unserem Akkuschrauberrennen, dass es ein robustes und zuverlässiges Konstruktionsmaterial ist.“

Die Teams nutzten das Material dann auch auf ganz unterschiedliche Weise. Während die Designer der HAWK die Biegsamkeit des Werkstoffs in der Karosserie als Gestaltungselement verwendeten, schichteten es andere übereinander und nutzten die Massivität des entstehenden Verbundes, um daran metallische Funktionselemente zu befestigen. Vor allem Erstteilnehmer am Wettbewerb wie das Team der HTW Berlin versuchten die Grenzen von Kraftplex auszutesten und gingen dabei bis an die Grenzen des Machbaren. „Wir wollten so viele Bauteile wie möglich aus dem papierbasierten Material machen“, erklärt Julian Weller den Aufbau. „Leider hat die Aufhängung beim Akkuwechsel in der Box nachgegeben. Das hat uns einige Zeit gekostet.“ Was sich nachteilig in der Dauerhaftigkeit während des Rennens auswirkte, brachte in der Sonderwertung „Gewicht“ jedoch große Vorteile. So überraschten die „Hammerheads“ der Hochschule Coburg die Konkurrenz mit dem leichtesten Fahrzeug der Konkurrenz und lediglich 9,8 Kilogramm und staubten die Trophäe in dieser Kategorie ab.

Sieger der Gesamtwertung wurde bereits zum dritten Mal das Team „Papercut“ der Hochschule Emden-Leer. Die über die Jahre erworbenen Erfahrungen und Erkenntnisse wurden so gut umgesetzt, dass das Team, den Sieg nach 6 Runden im finalen Rennen gegen das Team „Swiss“ nach Hause fahren konnte. Dem Zuschauer fiel besonders der Geschwindigkeitsvorteil der Niedersachsen auf, den sie vor allem durch eine sehr gute Kurvenlage mit einem tief sitzenden Fahrer und großen, aber leichten Laufrädern erzielten. Auf den zweiten Platz schraubte sich das Team „Swiss“ der Zürcher Hochschule der Künste, dessen Fahrer vor allem beim Überholen eine besonders gute Figur abgab. In einem spannenden Halbfinale hatte er sich noch im Stechen gegen die Kunsthochschule Berlin-Weißensee durchgesetzt, dessen Fahrer aufgrund einer besonderen Hand-/Fuß-Lenkung großes Geschick bei der rasanten Fahrt durch das kurvige Pappkartonlabyrinth hatte aufbringen müssen. Den dritten Platz erreichte das Team „Pain“ der Köln International School of Design, die die Zuschauer entsprechend ihrer rheinischen Mentalität mit einem außergewöhnlichen Outfit vergnügten. Als Team mit der besten technischen und gestalterischen Umsetzung wurde das Team „ASR-Z2“ von der Züricher Hochschule der Künste gekürt. Das Team „Papierkram“ von der HAWK in Hildesheim spielte den Heimvorteil aus und gewann den Publikumspreis mit erheblichem Abstand.

Der riesige Erfolg des diesjährigen Events wird die Veranstalter Prof. Barbara Kotte und Prof. Andreas Schulz von der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim anspornen sich für 2015 neue Rahmenbedingungen für spektakuläre Fahrzeugkonstruktionen zu überlegen. Im Zuge des Themas Nachhaltigkeit wäre vielleicht die Verwendung von Recyclingmaterialien interessant! Vielleicht könnte man über die Karosserie aber auch zusätzliche Energie gewinnen. Wir werden sehen…

Bild: Team Swiss beim Akkuschrauberrennen 2013