Gewachsene Möbel

Nachhaltigkeit und pflanzliche Materialien

md Magazin
2-2013


Verlag

Konradin Medien (Stuttgart)

Chair Farm - growing furniture

Unsere ressourcenverschwendende Produktkultur scheint überholt. Designer kreieren derzeit eine neue Logik für Produktion und Herstellung. Dabei sind sie der gesellschaftlichen Entwicklung ein Stück voraus. Denn sie orientieren sich an den Prinzipien pflanzlichen Wachstums und machen die biologische Abbaubarkeit und natürliche Kreislauffähigkeit zu den wichtigsten Qualitäten neuer Materialien.

Während die britische Designerin Carole Collet noch die Grenzen biologischer Wachstumsprozesse für die Textilproduktion mit schwarzen Erdbeeren-Wurzeln oder den roten Trieben der Tomatenpflanze austestet, sieht der Berliner Designer Werner Aisslinger die Zukunft des Möbeldesign bereits gekommen. In seiner Chair Farm benutzt er Verschalungen aus Lochblechen, um Stühle durch das Hineinwachsen von Bambustrieben herzustellen. CO2 neutral und Biologisch abbaubar…

Nachdem sich die Idee des Urban Farmings in den Metropolen der Welt immer mehr Anhänger findet, klingt der nächste Entwicklungsschritt hin zum Chair Farming vielen noch als utopisch. Doch bei genauerer Auseinandersetzung mit den Beweggründen zum Wunsch vieler Menschen nach mehr nachhaltigem Design gewinnt der Ansatz eine konsequente Logik. Denn aufgerüttelt durch Meldungen über Kunststoffabfälle in den Weltmeeren, die durch den Fischverzehr einen nachteiligen Einfluss auf den menschlichen Organismus haben und über Ausdünstungen von Holzwerkstoffen, die unser Nervensystem negativ beeinflussen, sind die Konzepte der Kreativen mehr als nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Beflügelt von der Sehnsucht nach einer ökologisch korrekten Gesellschaft, ist der Wunschzettel der Designer an die Produzenten schnell formuliert: Werkstoffe und Produkte sollen auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden, keine nachteiligen Auswirkungen auf Klima und die Preisgestaltung bei den Nahrungsmitteln haben und in biologischen bzw. technischen Kreisläufen zirkulieren können. Vor diesem Hintergrund finden sowohl Designer als auch Materialhersteller immer neue Rohstoffquellen und Produktionsmethoden, um biologische Abfallmaterialien und natürliche Wachstumsprozesse für das Produkt- und Möbeldesign einzusetzen. So erreichen uns in den letzten Monaten Meldungen zu Werkstoffen auf Basis von Reishülsen, Fischschuppen oder Olivenreststoffen und lassen uns staunen ob der Vielfalt bislang ungenutzter Ressourcen. Es scheint fast so, als ob sich die Industrienationen in den letzten 50 Jahren „materielle Ungeheuer“ in den Errungenschaften moderner Technologiekultur entwickelt hätten, um diese im Eiltempo jetzt wieder loszuwerden.

Wie sonst würde man auf die Idee kommen, benutztes Kaffeepulver für die Herstellung von Lampenschirmen zu benutzen, Kunststoffe auf Basis von Orangenschalen herzustellen oder Fischschuppen für die Dekoration von Möbeloberflächen einzusetzen. Interessant scheinen dabei vor allem die Versuche, biologische Wachstumsprozesse im industriellen Maßstab einzusetzen und Werkstoffe und Materialoberflächen mit Pilzen und Bakterien zu erzeugen. Das New Yorker Unternehmen Ecovative Design zählt mit einem Schaumstoff auf Basis organischer Reststoffe und Mycelpilze als einer der Protagonisten einer Entwicklung, die immer mehr an Tempo zu gewinnen scheint. So hat der kalifornische Künstler Phil Ross aus San Francisco im Jahr 2012 die Qualität pilzbasierter Werkstoffe soweit optimiert, dass er Sitzflächen und Blöcke für architektonische Strukturen erzeugen konnte. Ein weiteres spannendes Beispiel aus dem Möbelbereich kommt vom deutschen Designer Jannis Huelsen. Er nutzte bakterielle Zellulosefäden zur Erzeugung einer Beschichtung für das Sitzmöbel „Xylinum“ und verband die bakteriellen Zellulosefänden in Fermentationsvorgängen durch Mikroben unter Versorgung mit grünem Tee und Zucker zu einer hochvernetzten Fadenstruktur.

Neben der Ausnutzung biologischer Wachstumsprozesse sind Designer und Produzenten derzeit mit der Entwicklung von Plattenmaterialien beschäftigt, die als Holzersatzwerkstoffe Verwendung finden können und nach Möglichkeit vollständig biologisch abbaubar sind. Grund ist die Tatsache, dass wir es, obwohl Deutschland zu einem des waldreichsten Gebiete Europas zählt, in naher Zukunft mit einem Engpass bei der Beschaffung von Holz zu tun haben werden. Ein Beispiel ist die an der UdK Berlin entwickelte Naturfaserplatte EcoSystem. Sie basiert zu 100 Prozent auf nachwachsenden Rohstoffen aus Agrarabfällen und wird, anderes als bei konventionellen Holzwerkstoffen üblich, mit einem Bindemittel auf Basis eines Biokunststoffs zusammengehalten. Die wabenartige Stütz-Konstruktion setzt zudem den Werkstoffbedarf herab und reduziert das Gewicht. Die Faserplatte kann recycelt werden und kommt ohne Beschichtung oder bedenkliche Klebstoffe, Lacke und Deckmaterialien aus.

Auch im Forschungsprojekt „MoldPulp“ wird derzeit nach einer Alternative für erdölbasierte Bindemittel durch biologische gesucht. Wissenschaftler der Södra Labs entwickeln in Schweden einen spritzgießbaren Werkstoff aus Zellulosefasern und dem Biopolymer PLA. Dieser soll für den Möbelbau ausreichende Festigkeiten aufweisen und vollständig auf nachwachsende Rohstoffe zurückgehen. Erste Sitzgelegenheiten wurden bereits mit dem Material umgesetzt.

Der Architekt Beat Karrer aus Zürich setzt in seinem Material FluidSolids auf die Haftkraft eines proteinbasierten Bindemittels, um die natürlichen Fasermaterialien aus industriellen Abfällen zu einem Werkstoff für die Möbelindustrie zu verarbeiten. Dieses lässt sich mit den klassischen formgebenden Produktionstechniken wie Spritzgießen und Extrudieren bei hoher Abformgenauigkeit verarbeiten. Sowohl bei der Herstellung als auch der Verarbeitung des geruchs- und emissionsfreien Materials haben die Entwickler einen im Vergleich zu konventionellen Werkstoffen geringeren Energieverbrauch quantifiziert.

Auch beim Compos Chair des finnischen Designers Samuli Naamanka wurde auf eine petrochemische Bindemittel-Matrix verzichtet. Ergebnis ist eine Sitzschale aus einem Naturfaser-Verbundwerkstoff, der 100 Prozent biologisch abbaubar ist und keine Ausdünstungen verursacht. Als Haftmittel findet Maisstärke Verwendung, die im Produktionsprozess polymerisiert wird.

Andere eindrucksvolle Eigenschaften für den Ersatz erdölbasierter Bindemittel durch ökologische Reststoffe sind Plattenwerkstoffe auf Basis von Bagasse. Sie fällt als faseriges Nebenprodukt bei der Zuckergewinnung aus Zuckerrohr an und wird seit kurzem bei der Herstellung formaldehyd- und phenolfreier Schichtstoffplatten verwendet. Ein Produktbeispiel für den Interiorbereich ist RE-Y Stone. Die widerstandsfähige Oberfläche dabei ähnelt Gesteinsmaterialien. Als biologisch abbaubares Material lässt es sich im Möbel- und Interiordesign genauso einsetzen wie der Plattenwerkstoff Dekowood Bark Cloth. Der Rindentuchanbieter Barkcloth hat unter Verwendung von Eco HPL eine vollständig biologisch abbaubare Schichtstoffplatte auf den Markt gebracht, die die Haptik des aus Uganda stammenden Baumrindentextils mit der Umweltverträglichkeit des Bagasse basierten HPL kombiniert.

Bild: Chair Farm (Design: Werner Aisslinger)