Fahrt frei für abfallfrei

Innovationen für die Kreislaufwirtschaft

Design Report
3-2017


Verlag

Rat für Formgebung Medien (Frankfurt)

Auf der Sonderfläche „Innovation of Interior“ der diesjährigen Interzum gab es für die Besucher wieder einiges zu entdecken. Die Ausstellung „Circular Thinking – From Upcycling to Biofabrication“ präsentierte Lösungsansätze für einen Umgang mit knapper werdenden Ressourcen und ein Denken in geschlossenen Materialkreisläufen.

Der Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und die Umstellung industrieller Produktion auf geschlossene Werkstoffkreisläufe werden die industriellen Gesellschaften im nächsten Jahrzehnt beschäftigen. Die Orientierung weg vom „Verbrauch“ einer Ressource hin zu ihrem „Gebrauch“ hat vor allem für materialintensive Branchen eine besonders hohe Bedeutung und wird mit Blick auf die steigende Weltbevölkerung zum Treiber für Innovationen.

Hersteller und Designer arbeiten immer stärker an innovativen Upcyclingprozessen, die den Ressourcen- und Energieeinsatz auf allen Ebenen deutlich reduzieren werden. Idealerweise sollen am Ende der Lebenszyklen keine Abfälle anfallen sondern hochwertige Materialien entstehen, die den Ausgangspunkt für den Beginn eines nächsten Produktlebens bilden. Aus Recycling wird Upcycling, aus Abfällen werden Wertstoffe mit ihren ganz spezifischen Qualitäten für innovatives Produktdesign. Die Ressourcen zirkulieren in Kreisläufen, sowohl in biologischen als auch technischen Kreisläufen: Ein Idealbild für die Industriekultur im 21. Jahrhundert!

Mit der Sonderfläche „Circular Thinking – From Upcycling to Biofabrication“ präsentierte die KölnMesse in Kooperation mit HAUTE INNOVATION auf der Interzum aktuelle Trends rund um das Thema nachhaltiger Kreislaufwirtschaft. Gezeigt wurden nicht nur klassische Upcyclingideen wie etwa Möbel aus alten Fahrradrahmen oder ausgemusterten Rolltreppenstufen, sondern auch ungewöhnliche Denkansätze von Designern und Unternehmen, die den Ausweg aus dem immer knapper werdenden Zugang zu Ressourcen in der Kombination mit biologischen Wachstumsprozessen sehen.

Materialien aus Textilresten

In den letzten Jahren haben Designer und Start-Ups erfolgreich gezeigt, wie sich mit spannenden Upcyclingprodukten eine zahlungskräftige Käuferschicht begeistern lässt. Eines der populärsten Beispiele in diesem Zusammenhang ist die Schweizer Taschenfirma Freitag, die es geschafft hat, unter Verwendung von LKW-PLanen stylische Taschen an den Mann zu bringen.

Das Berliner Designbüro krupka–stieghan geht beim Thema Upcycling zusammen mit dem sächsischen Textilforschungsinstitut und der BASF Designfabrik an den Ursprung von industriellen Baumwollabfällen. In Kooperation mit dem Frottierwarenhersteller möve entstehen aus den bisher ungenutzten Abfallflusen, Abschnitten, Garnresten und dem Scherstaub der Produktion neue Vlies- und Naturfaserkunststoffmaterialien. In Kombination mit Biokunststoffen sind diese nicht nur biobasiert, sondern auch biologisch abbaubar. Aufgrund der material- und prozesspezifischen mehrfarbigen Oberflächen mit ihren marmorierten Strukturen sind die Recyclingwerkstoffe besonders attraktiv für Anwendungen im Interior- und Möbeldesign.

Upcycling mit Papier, Glas und Autoreifen

Faserreststoffe anderer Art finden ebenfalls Verwendung in den Niederlanden. In Eindhoven kreiert die junge Designerin WooJai Lee aus recyceltem Zeitungspapier und einem Bindemittel so genannte Paper Bricks. Die in Form gepressten Teile lassen sich in einer Art Baukastensystem zu unterschiedlichen Sitzmöbeln zusammenstecken. Im Rahmen der diesjährigen Designweek in Mailand umreißt die junge Designerin mit rechteckig gepressten Steinen auch Anwendungsszenarien für die Baubranche.

Dass Abfallstoffe nicht uninteressant für die Bauindustrie sind, liegt sicherlich auch an den „Earthship“-Gebäuden des US-Amerikaners Michael Reynolds. Er baute bereits im Jahr 1971 in der Wüste New Mexikos sein erstes Haus aus Müll. Zu einer Zeit in der Getränkedosen und Glasflaschen noch nicht industriell recycelt wurden und sich Verpackungsmaterial und Autoreifen auf den Deponien stapelten, eine wirklich smarte Upcyclingidee. Mehr als 100 Häuser hat der Architekt bislang in der Wüste gebaut. Durch eine ausgeklügelte Materialauswahl und Ausrichtung der Fassaden in Südrichtung können die Häuser eigenständig Strom produzieren sowie Trinkwasser (durch Schmelzwasser) erzeugen. Auch in Deutschland folgen einige Bauherren dem Beispiel Reynolds. So gibt es in der schwäbisches Alp und rund um Berlin einige Earthship-Projekte. Ein Teilwandstück der ungewöhnlichen Bauweise in Lehm war ebenfalls auf der Sonderfläche hautnah zu bestaunen.

Werkstoffe auf Basis organischer Reststoffe

Mit dem steigenden Professionalisierungsgrad sowie der anwachsenden Produktionsmenge in der Lebensmittelproduktion rücken auch biologische Abfallstoffe in den Fokus vieler Designer und Unternehmen. Diese Reststoffe werden aber nicht nur kompostiert, sondern in einem kreativen Designprozess geadelt und in ein neuartiges Designobjekt überführt. Interiorobjekte wie Vasen und Kleinmöbel aus abgelaufener Milch von Tessa Silva Dawson, Lampenschirme aus Algen vom dänischen Designer Jonas Edvard, Taschen aus Ananasfasern von Pinatex, Stühle aus Flachsfasern von Breed aus Amsterdam oder Möbel aus unterschiedlichen Baumrinden wie etwa Kork von Genkork aus Portugal oder antiseptischer Birkenrinde von Anastasiya Koshcheeva aus Berlin sind nur einige der zahlreichen Exponate, die in Köln zu sehen waren. All diese Beispiele haben eins gemein; sie machen sich die Eigenschaften der Materialinhaltsstoffe zu nutzen.

Möbel wachsen lassen

Eine Weiterentwicklung im Umgang mit knapper werdenden Ressourcen sehen Diana Scherer oder der gelernte Tischler Gavin Munro in der abfallfreien Herstellung von Produkten unter Ausnutzung biologischer Wachstumsprozesse. Die deutsche Künstlerin Diana Scherer lässt zum Beispiel Wurzelgeflechte aus Gras in eine vordefinierte Form wachsen. Binnen weniger Wochen entstehen in ihrem Gewächshaus Wurzeltextilien, die an aufwendig geknüpfte Makramee-Arbeiten erinnern. Der Engländer Gavin Munro nutzt als Produktionsstätte für seine Lampenschirme, Tische und Stühle sogar ein ganzes Feld in der britischen Grafschaft Derbyshire. Für seine gezüchteten Möbel verwendet er schnellwachsende Weiden, die er im Zeitraum von 3-6 Jahren je nach Größe um eine definierte Form wachsen lässt und die Stränge immer wieder mit Draht oder Kabelbindern fixiert. Zur Erntezeit werden die Objekte aus ihrer Form befreit, an der Wurzel abgesägt und für etwa ein Jahr in der Tischlerei getrocknet. Anschließend wird die einzigartige Holzoptik durch Schleifen herausgearbeitet.

Es geht jedoch noch eine Nummer kleiner. So nutzt BioMaison aus den USA kalzitbildende Bakterien, um Sand zu binden und in einem klassischen Brennprozess zu fixieren. Die Steine unterscheiden sich optisch nicht von herkömmlichen Baumaterialien, sind jedoch zementfrei und somit ökologisch unbedenklich. Ebenfalls auf der Sonderfläche zu finden, waren gezüchtete Kleidungsstücke aus Pilzen sowie myzelgebundene Sandpartikel als Platten- sowie Baumaterial von Diana Drewes.

Bildquelle: Paper Bricks (Design: WooJai Lee)